Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Gott kann es nicht geben. Sonst gäbe es nicht so viel Leid auf der Welt.“ Das hat mir ein Hörer geschrieben – und von heftigen Schicksalsschlägen erzählt. Unter anderem von Kindern, die unheilbar erkranken oder sterben.

Ich finde es gut, wenn jemand so ehrlich schreibt, was er denkt. Und ich kann diese Argumentation nachvollziehen. Gott ist allmächtig, heißt es im christlichen Glaubensbekenntnis. Das müsste doch eigentlich heißen, dass er alles kann. Dass er also auch alles Leid verhindern kann. Und dann müsste er es doch auch tun. Wenn nicht – was ist das dann für ein Gott?

Mit dieser Frage lese ich in der Bibel. Und da stelle ich zunächst fest: In den Texten und Geschichten dort ist andauernd von Leid die Rede. Und von Menschen, die dieses Leid abbekommen. Auch wenn sie an Gott glauben. Besonders eindrücklich wird das in den Psalmen. Das sind Gebete mitten in der Bibel, manche sind sehr persönlich. „[I]ch habe es satt, so erbärmlich zu leiden. Ich fühle mich dem Totenreich ganz nahe“ [Psalm 88,4; BasisBibel], schreibt da einer. Und dann macht dieser Beter Gott sogar verantwortlich für das, was er tragen muss: „Du hast mich […] in tiefste Abgründe [gestoßen]. […] Deine gewaltigen Wellen haben mich unter Wasser gedrückt.“ [Psalm 88,7f.; BasisBibel]

Gott und das Leid – für die biblischen Texte scheint das also kein Widerspruch zu sein. Das Leben ist schön und schrecklich zugleich. Und Gott ist immer dabei.

… mehr noch: Gott leidet sogar selbst an der Welt. Ich sehe: Auch davon wird in der Bibel erzählt. Vor allem da, wo es um Jesus geht. Jesus lebt – und stirbt. Und dieser Jesus ist Gott, glauben Christen. Ja, das heißt dann doch: Gott durchleidet selber, was Menschen durchmachen. Auch das Leid ist ihm nicht fremd.

Gott ist allmächtig – ich sehe das dann so: Gottes Liebe weicht sogar dem Tod nicht aus. Gott geht mit den Menschen dahin, wo es dunkel wird. Keine Macht der Welt trennt die Menschen von Gott.

Manchmal begegne ich Menschen, die das genau so erleben. Sie sagen: Als ich ganz unten war, habe ich dort Gott gespürt. Ich habe gespürt, dass jemand an meiner Seite ist. Jemand, der auch meine Verzweiflung aushält, meine Tränen. Und das hat einen Unterschied gemacht.

Was ist das für ein Gott, an den Christen glauben? Ganz sicher kein Gott, der alles Leid der Welt verhindert. Und auch kein Gott, mit dem sich alle Lebensfragen klären. So einen Gott gibt es tatsächlich nicht. Aber da ist ein Gott, der mitten im Leid bei mir bleibt. Der sich auch meinen Abgründen stellt. Auf den will ich vertrauen. Hoffentlich auch in schweren Zeiten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26804
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