SWR4 Sonntagsgedanken

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„Wir können aus der Erde keinen Himmel machen. Aber jeder von uns kann etwas tun, dass sie nicht zur Hölle wird.“ Das hat Fritz Bauer einmal geschrieben. Fritz Bauer war in den Sechzigerjahren Generalstaatsanwalt in Frankfurt am Main. Als Jude und Sozialdemokrat war er von den Nazis verfolgt worden. Später hat er es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Verbrecher von Auschwitz vor Gericht zu bringen. Vor 50 Jahren, im Juli 1968, ist er gestorben.

„Wir können aus der Erde keinen Himmel machen. Aber jeder von uns kann etwas tun, dass sie nicht zur Hölle wird.“ Ich finde den Satz realistisch. Unsere Welt ist nun mal nicht das Paradies. Aber er gibt mir auch zu denken. Wünscht sich nicht jeder Mensch ein bisschen Himmel auf Erden? Glück, Frieden, Gesundheit – wer möchte das nicht!

Aber der Himmel sieht ja nicht für alle gleich aus! Da richtet sich einer das ein, was für ihn der Himmel ist – und für andere wird die Erde zur Hölle. Das hatte Fritz Bauer ja erlebt: Der Himmel der so genannten Arier war die Hölle für Juden und Sozialdemokraten. So geht das oft: Die einen wollen mit allen Mitteln ihre Vorstellung vom Himmel durchsetzen. Und für andere wird das Leben dann zur Hölle auf Erden. Ich glaube, Beispiele dafür kennt jeder von uns. Eltern, die ihre Kinder in ihre eigenen Vorstellungen von einem guten Leben einsperren. Leute, die gegen den Nachbarn prozessieren, weil er ein anderes Bild von einem himmlischen Garten hat. Verheiratete, die den Partner auf Biegen und Brechen ihren eigenen Vorstellungen anpassen wollen. Oder Menschen, zu deren Bild von Heimat es gehört, dass alles draußen bleibt, was ihnen fremd vorkommt.

Vielleicht sollten wir lieber nicht versuchen, aus der Erde einen Himmel nach unseren eigenen engen Vorstellungen zu machen. Sonst könnte die Erde für andere zur Hölle werden.
Das Gefährliche ist: Die Erde wird nicht auf einmal zur Hölle, mit einem großen lauten Knall. Das passiert eher langsam und unmerklich. Wenn viele merken, dass sich etwas verändert hat, dann ist es oft schon zu spät. Meistens haben sich die Menschen dann schon daran gewöhnt. Sie nehmen die Veränderungen gar nicht mehr als etwas Besonderes wahr. So muss es damals, zu Beginn der Nazizeit, gewesen sein. Und heute scheint es fast schon normal, dass Menschen immer lauter und unversöhnlicher übereinander herziehen. Vor allem im Internet hetzen sie gegen andere, die sie nie persönlich kennengelernt haben. Wann hat das angefangen? Wann ist es so laut und rechthaberisch geworden?

Ich habe es nicht richtig gemerkt. Es ist schleichend passiert. Inzwischen finde ich es richtig schlimm. Aber muss das so bleiben? Wie kann unsere Erde zu einem Ort werden, an dem wir alle gut leben können? Was können wir dafür tun?

Eine mögliche Antwort darauf finde ich in der Bibel. Dort fordert der Prophet Jesaja seine Mitmenschen auf: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!“
Mein Fleisch und Blut: Das sind natürlich zuerst einmal meine Kinder. Ich sorge mich darum, dass es ihnen gut geht. Auch wenn sie schon erwachsen sind. Und ich versuche zu verstehen, wie sie denken und fühlen. In vielem einfach anders als ich. Ich habe nicht das Recht, ihnen meine Vorstellungen aufzuzwingen.

Wenn das schon bei meinen Kindern so ist, dann doch erst recht bei allen anderen Menschen. Die meint Jesaja nämlich. Die sind mein Fleisch und Blut. Es sind Menschen wie ich. Meine Nachbarn und Kollegen. Menschen, die auf der Straße an mir vorbeigehen oder im Laden in der Schlange vor mir stehen. Der Obdachlose in der Fußgängerzone. Menschen, die in ihrer Heimat keine Chance auf ein gutes Leben haben, weil es an allem fehlt. Früher kamen sie oft aus Deutschland – in Russland, in Amerika oder in Brasilien haben sie eine neue Chance bekommen. Heute suchen Flüchtlinge aus Ghana oder Nigeria diese Chance bei uns. Andere fliehen vor Bürgerkrieg und Diktatur in ihrer Heimat. Nach einer gefährlichen Flucht kommen sie in Italien an. Dort leben sie am Ende meistens auf der Straße.

„Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!“

Vielleicht wird die Erde doch ein kleines bisschen zum Himmel, wenn Menschen so aneinander handeln. Den anderen wahrnehmen. Erkennen, dass er erst einmal ein Mensch ist wie du und ich. Ein Mensch, der Hunger hat und Angst vor Obdachlosigkeit. Ein Mensch, dem ich vielleicht ganz einfach helfen kann. Ich habe oft erlebt, dass dazu erst einmal nicht viel gehört. Ein bisschen helfen, ein bisschen etwas Gutes für andere tun, ein bisschen den Himmel auf der Erde aufschimmern lassen – das kann wirklich jeder. Jeden Tag. Und wer mehr Zeit und Kraft hat, der tut für einige wenige Menschen mehr.

Auch dann wird die Erde noch lange kein Himmel. Da hat Fritz Bauer einfach recht. Aber unter uns leben Menschen, die schon die Hölle erlebt haben. Und das muss nicht sein. Ich glaube, jeder Mensch trägt ein kleines Stück Himmel in sich. Wenn wir es freundlich und aufrichtig mit anderen teilen, dann wird es größer.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26761
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