Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Heute werden in Stuttgart sechs Männer zu Priestern geweiht. Einer von ihnen hat mich gebeten für ihn und seine Heimatgemeinde eine Predigt zu halten. Zur Vorbereitung auf seinen ersten eigenen Gottesdienst dort. Ich soll sprechen über: „Die Erotik des Glaubens“. Zuerst hat mich dieser Wunsch etwas irritiert. Denn mit Erotik verbinde ich eher Sexualität als Glaube. Es muss einen anderen Zusammenhang geben. Vielleicht hilft die Herkunft des Wortes. Erotik kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie: sinnliche Liebe. Sie zeigt sich auch, aber nicht nur in der sexuellen Liebe. Überall dort, wo es um mehr als nur leibliche Erfahrungen geht, wo Leib und Seele spürbar verbunden sind. Wo die Liebe mit Herz und Verstand gelebt wird. Und: wo der Mensch an sein Geheimnis rührt. Denn erotische Liebe verhüllt eher als dass sie enthüllt. Das kann sich  in besonderen Gefühlen zeigen: ein Schauer überkommt einen, man bekommt eine Gänsehaut. Kann also das Glauben an Gott in diesem Sinne erotisch sein?

Für den jungen Mann, der Priester wird, scheint die Liebe zu Jesus entscheidend zu sein. Und er nennt das die Erotik des Glaubens. Er hat sich entschlossen, sein künftiges Leben besonders stark an Gott zu binden. Mit Haut und Haaren, mit Leib und Seele. So will er Menschen helfen, glücklich zu sein. Und er will das alles mit Leidenschaft tun, mit großem innerem Antrieb und letztlich: aus Liebe.

Der junge Mann hat mich zu der Frage gebracht, wie es denn um meine Liebe zu Jesus steht. Ich bin jetzt 23 Jahre Priester. Meine „erste Liebe“ liegt schon eine Weile zurück und meine Beziehung zu ihm ist nüchterner geworden. So wie das in zwischenmenschlichen Partnerschaften auch oft ist. Aber immer noch brennt da etwas in mir, das mich an Jesus bindet. Wie viel Freiheit er ausstrahlt, wenn es darum geht, einen Menschen als Menschen wahrzunehmen, ohne Rücksicht auf die äußeren Umstände. Wie sinnlich er die Menschen liebt, wenn er die Unberührbaren berührt, wenn er die Menschen an Leib und Seele aufrichtet, wenn er mit ihnen isst, trinkt und feiert. Und was für ein Gottvertrauen er hat. Das alles liebe ich an ihm immer noch, auch nach all den Jahren. Davon werde ich bei der Predigt in einer Woche erzählen. Und ich hoffe, dass man mir meine Begeisterung, ja meine „Glaubens-Erotik“ immer noch anmerkt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26751
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