Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Heute ist Zeugnisausgabe für die Abiturienten aus Baden-Württemberg. Und damit ihr letzter Schultag. Rund 52.000 junge Frauen und Männer werden es in diesem Jahr sein, die dann die Schule verlassen und in einen neuen Lebensabschnitt starten. Ich habe einen Wunsch, den ich ihnen mit auf den Weg gebe, aber auch allen, die in den nächsten Jahren mit ihnen zu tun haben werden. Ich wünsche, dass sie auch künftig lernen.

Ich weiß schon: wenn die jungen Leute jetzt der Schule den Rücken kehren, sind sie froh. Überglücklich, es geschafft zu haben, befreit aus den Zwängen von Unterricht und Prüfungen. Sie haben den Drang, Neues zu erleben, anderes zu sehen, sich auch zu befreien von denen, die ihnen bisher gesagt haben, was man fürs Leben braucht. Das Lernen ist für sie jetzt erst mal vorbei. Einverstanden, wenn es um ein Lernen geht, das man hinterher in Prüfungen nachweisen muss und für das man Noten bekommt. Aber das Lernen an und für sich, das geht weiter. Das Lernen als Grundhaltung, die zum Menschen gehört, wenn er menschlich bleiben will.

Als ich zum Studieren für ein Jahr in Wien war, hat meine Vermieterin gleich am Anfang zu mir gesagt: „Achten Sie bitte darauf, sich gut zu benehmen.“ Ich habe das erst als Übergriff empfunden. „Was geht die denn das an!“, hab ich mir gedacht. Trotzdem ist mir der Satz im Gedächtnis geblieben. Sie hat sich nicht für meine Leistungen interessiert, ob ich fleißig bin. Nein, sie hat mir einen Tipp fürs Leben gegeben. Altmodisch zwar, aber ehrlich. Sie ist davon überzeugt gewesen: Das wird der junge Mann brauchen, egal, was er einmal macht. Und ich hab’s nicht vergessen und wenn’s nötig war beherzigt.

Ich wünsche mir, dass die frisch gebackenen Abiturienten auch solche Erfahrungen machen. Es ist nicht schlimm, wenn sie sich manchmal wundern oder ärgern. Aber wir sollten ihnen nicht vorenthalten, was wir denken, was uns wichtig ist. Und wenn uns etwas an ihnen stört, dann sollten wir es ihnen sagen. Mutig und ungeniert, eben nicht gleichgültig. Nur so können sie auch in Zukunft etwas lernen. Und ich wünsche mir für die jungen Leute, dass sie es eben auch in Zukunft gut finden, etwas dazu zu lernen. Und ihnen die Bereitschaft dazu nicht verloren geht - ihr ganzes Leben lang.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26750
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