SWR1 Begegnungen

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Teil I:

Ein Pfarrer hat eine Gemeinde. Klar. Wie kommt es aber, dass ein Pfarrer gleich eine ganze Universität als Gemeinde hat? Bernd Hillebrand ist so ein Pfarrer mit Universität; er ist Hochschulpfarrer und…

„…diese Stelle als Hochschulpfarrer ist eine Sonderseelsorgestelle. Dazu gehört Klinikseelsorge, beispielsweise, und da gehört eben auch diese Studentenpfarrerstelle, die ausgeschrieben ist, und auf die ich mich vor sieben Jahren hier in Tübingen beworben habe,
weil ich davor in der Jugendarbeit war – war Jugendpfarrer in Ravensburg – und das war im Anschluss daran für mich attraktiv, mich dort zu bewerben.“

Seit 2011 Jahre wirkt Bernd Hillebrand in Tübingen an der katholischen Hochschulgemeinde, kurz KHG. Dabei hat er alle Hände voll zu tun: Über 28.000[1] Studenten und 330 Studiengänge gibt es in Tübingen. Deshalb hat er gleich verschiedene Ideen in die Tat umgesetzt.

„Als ich als Hochschulpfarrer in Tübingen begonnen habe, bin ich mal zu 20, 25 verschiedenen Fachschaften gegangen: Also von der Mathematik, Physik, Medienwissenschaftler, Anglizisten, Germanisten und hab mit denen ein Gespräch vereinbart. Es war die Idee, mal zu hören: Was sind eigentlich deren Themen? Und gleichzeitig mich auch bekannt zu machen und die KHG bekannt zu machen. Aus diesen Gesprächen heraus sind oft Kooperationen entstanden; dass ich mit der Fachschaft Sport oder mit den Medienwissenschaftlern zusammen eine Podiumsdiskussion beispielsweise organisiert habe.“

Um die Studierenden auch nach dem Uni-Feierabend zu erreichen, hat Bernd Hillebrand mit seinem Team in der katholischen Hochschulgemeinde außerdem daran gearbeitet, …

„…, dass wir typische studentische Kulturen angeboten haben. Also ganz konkret einen Poetry Slam oder einen Science Slam, ein Wohnzimmer-Konzert. Kulturelle Angebote machen wir für Studierende, dass sich das herumspricht, dass bei uns ein Poetry Slam ist und dabei es jetzt nicht wesentlich ist, ob wir jetzt katholisch sind, ob wir ein Religionsangebot, ob wir ein spirituelles Angebot [sind], sondern über diese kulturellen Angebote sind einfach Studierende mit uns in Kontakt gekommen.“

Am wichtigsten ist ihm gerade dieser persönliche Kontakt. Ein spannender Abend beim Poetry Slam, eine hitzige Podiumsdiskussion…

„…oder sie kommen aus einem Gottesdienst und sagen: ‚Der hat mich so berührt – wenn du da nicht hingehst, dann verpasst du etwas.‘, und sie machen so persönlich Mund-Zu-Mund-Propaganda und dadurch nehmen sie und bringen sie andere Studierende zu Veranstaltungen mit, und dadurch werden wir bekannt.“

Für Bernd Hillebrand ist es allerdings nicht die Frage, wie er die Hochschulgemeinde voll bekommt, sondern wie er selbst für Fülle in den Herzen und in den Seelen der Studierenden sorgen kann.

Teil II:

Durch seine Arbeit als Hochschulpfarrer weiß Bernd Hillebrand, was in den Köpfen junger Menschen vor sich geht: Während des Studiums geht es viel um Noten, Ehrgeiz und Zukunftschancen. Eine Etage tiefer geht es aber um etwas anderes. Tief im Herzen gibt es eine ganz zentrale Sehnsucht, die die Studenten umtreibt:

„Ich glaube, dass die größte Sehnsucht ist, dass mir jemand sagt: ‚Du bist OK wie du bist.‘ Die größte Sehnsucht ist, dass jemand sie groß macht; dass jemand ihnen sagt: ‚Du schaffst das Leben.‘ Die größte Sehnsucht ist: ‚Du bist mehr als deine Fehler und du darfst scheitern in deinem Leben und du musst nicht vollkommen sein. Es geht darum, dass du dich entwickelst, aber du musst nicht vollkommen sein.‘“

Es ist ein schmaler Grat zwischen Sehnsucht und Angst. Fakt ist, die meisten Studierenden fühlen sich eben nicht OK so, wie sie sind, sondern dass da…

„…eine große Angst ist zu scheitern: Vor einer Prüfung, die Prüfung nicht zu schaffen, am Ende des Studiums nicht gut genug zu sein für den Beruf, auf den sie zugehen; die Angst, dass die Gesellschaft ihnen keinen Platz gibt. So paradox sich das anhört, obwohl das ja Leute sind, die gutes Abitur gemacht haben, obwohl sie ja am Ende eines Studiums stehen, sind genau das die Fragen, mit denen sie in Gesprächen zu mir kommen […].“

Wie muss ich mir das konkret vorstellen, will ich von Bernd Hillebrand wissen?

„Na, mir fällt ein junger Mann ganz konkret ein, der am nächsten Tag – wunderbar, super Noten bisher geschrieben, aber am nächsten Tag seine Staatsexamensprüfung hatte und völlig an sich gezweifelt hatte. Also gesagt hat: ‚Ich kann am nächsten Tag nicht in diese Prüfung gehen.‘, und wir sind in dem Gespräch nochmals zurück gegangen, wo er denn in seinem Leben – begonnen vom Abitur – schon oft die Erfahrung gemacht hat, dass er es kann; dass in ihm ein Potential ist, wo er dieser Situation gewachsen ist. Und wir haben für diese Situation ein Bild gesucht, eine Farbe gesucht, und diese Farbe und dieses Bild in ihm geankert. Und mit diesem Bild hat sich plötzlich in ihm eine Stimmung völlig verändert. Mit diesem Bild ist in ihm wieder etwas stark geworden, wo Zweifel kleiner geworden sind – und am Ende hat sich auch sein Gesicht verändert, wo er plötzlich gestrahlt hat und zuversichtlich war, den nächsten Tag, zu schaffen. Und mit diesem Bild ist er am nächsten Tag in die Prüfung gegangen und diese Prüfung glänzend pariert.“

Was hat Bernd Hillebrand von solchen Begegnungen über das Leben gelernt?

„Man hat kaum so viel Lebensenergie bei Menschen wie in dem Alter zwischen 20 und 27. Deshalb glaube ich, ist es wichtig, dass Kirche da am Start ist, dass ich da am Start bin, dass es da katholische Hochschulgemeinde gibt, die Platz macht und nicht Platz besetzt […]“

Denn das scheinen jungen Menschen und Freiheit gemeinsam zu haben: Beide brauchen Platz zum Atmen und Menschen, die sich bindungslos an ihre Seite Stellen. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26643
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