Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Vom Fußball kann man eine Menge lernen. Zum Beispiel in puncto Nächstenliebe. Da lerne ich, dass es ziemlich leicht ist, die Fernsten zu lieben. In meiner Gegend in der Stuttgarter Innenstadt wohnen Kroaten und Portugiesen, Spanier, Deutsche Italiener und Türken. Während der WM hängen ihre Nationalfahnen aus dem Fenster oder vom Balkon. . Das hat man vor 4 Jahren sehen und hören können. Vermutlich wird es diesmal genauso werden. Und wenn gespielt wird, kann man die Begeisterung aus den offenen Fenstern hören und das Aufstöhnen der Enttäuschten auch. Menschen aus verschiedenen Nationen sind da gleich. Die Fans haben sich verstanden und miteinander gefeiert.

Aber merkwürdig: wenn beim Fußball die anderen näher kommen, wenn nicht mehr die Fernsten, sondern wirklich die Nächsten gegeneinander spielen: dann geht es oft anders zu. Dann fliegen böse Worte und Flaschen, dann gibt es Prügel. Wenn Karlsruhe gegen Stuttgart spielt, Schalke gegen Dortmund, oder das eine Dorf gegen das nächste – dann muss man mit dem Schlimmsten rechnen. Für manche Fans werden die Nächsten dann zu Feinden, weil sie der eigenen Mannschaft den Sieg streitig machen.

Ich verstehe nicht genau, warum das beim Fußball so ist. Aber ich merke: genau wie auch sonst im Leben ist es dort schwierig mit der Nächstenliebe. Fernstenliebe ist anscheinend einfacher.

Die Not der Fernsten, hungernde Kinder in Afrika, Ausgebombte in Syrien, vergewaltigte Jesidinnen – das geht vielen nahe. Da spenden Menschen für die Hilfsorganisationen. Aber wenn die Fernen dann näher kommen? Wenn sie plötzlich da stehen und direkte Hilfe erwarten, weil sie zu Hause nicht mehr weiter wussten? Dann kriegen viele Angst um die eigene Behaglichkeit. Dann stören mich die, die mir womöglich etwas wegnehmen könnten. So, wie beim Fußball, wenn ich fürchten muss, dass der Pokal ins Nachbardorf geht. Aber eigentlich widerspricht das dem Geist des Spiels.

Die Fußball WM zeigt mir, dass es anders sein kann, heute Abend beginnt sie. Und da kann man spüren, dass eigentlich alle Menschen gleich sind: die Fernen, die Nahen und die Nächsten. Alle möchten sich freuen und gut leben. Vom Fußball lerne ich: Am besten geht das, wenn man es gemeinsam tut.

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