Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten“. Das sagen Christen über Jesus Christus im Glaubensbekenntnis. Auch morgen wird dieser Satz in vielen Gottesdiensten gesprochen.

Gott und Jesus als Richter? Früher haben die Menschen das fest geglaubt. Martin Luther zum Beispiel hatte furchtbare Angst vor diesem Richter. Vor Gott, der nach dem Tod entscheidet, ob man in den Himmel kommt oder in die Hölle. Martin Luther hat dann aber erkannt: Gott, der Richter, verurteilt mich nicht. Gott spricht mich frei. Er schenkt mir den Himmel, weil er mich liebt. Darauf kann ich vertrauen. 

Die Vorstellung von Gott, dem Richter, hat ihren Schrecken immer mehr verloren. Für die Menschen, die nicht an Gott glauben, sowieso. Aber auch für die meisten Christen: Heute ist von Gott dem Richter kaum mehr die Rede. Gott liebt seine Menschen, er richtet sie nicht.

Kann man Gott, den Richter, also einfach abschaffen? „Auf keinen Fall!“, hätte der Philosoph Immanuel Kant gerufen. Ihm war es wichtig, dass die Menschen moralisch gut handeln. Aber er hat beobachtet: Gutes Handeln zahlt sich nicht immer aus. Er hat gesehen: Es gibt gute Menschen, denen es im Leben schlecht geht. Und umgekehrt gibt es böse Menschen, denen es gut geht. Das war für Immanuel Kant unerträglich. Es musste jemanden geben, der diese Ungerechtigkeit beseitigt: Gott, den Richter, der die Guten nach dem Tod belohnt und die Bösen bestraft. Richten war für Kant etwas Gutes.

Kant hat etwas Wichtiges gesehen: Richten bringt etwas in Ordnung. Aber ich denke, dabei geht es Gott nicht ums Bestrafen. Richten heißt zuallererst: Zurechtbringen. Das wissen vor allem die Schwaben. „Bisch g‘richtet?“ fragt der schwäbische Ehemann seine Frau und meint damit: „Bist Du fertig? Können wir los?“ Und wenn ein Schwabe sein Fahrrad „richtet“, dann repariert er es, dann bringt er es zurecht und macht es fahrtüchtig.

Gott, der Richter, ist der Zurechtbringer. Der liebe Gott und der richtende Gott sind keine Gegensätze. Wenn ich auf mein Leben schaue, dann bin ich froh, dass es diesen Richter gibt, der alles Unvollkommene und Kaputte einmal zurechtbringt. Das wird sicher auch schmerzhaft. Ich sehe dann ja auch, was ich falsch gemacht habe. Aber gut ist es trotzdem, dass endlich alles in Ordnung kommt. Das finde ich erst recht, wenn ich in die Welt schaue. Wie viel Leid und Ungerechtigkeit gibt es da? Natürlich liegt es an uns Menschen, diese Dinge so gut wir können, zu richten. Aber schaffen wir das? Wenn ich dann in der Bibel lese: „Gott richtet die Völker“ (Psalm 7,9) gibt mir das Hoffnung.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26541
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