Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Über elf Millionen Euro. Unglaublich, dass der Lottospieler aus Reutlingen seinen Gewinn nach über einem Jahr nicht abgeholt hat. Vor ein paar Wochen stand das in der Zeitung und bisher scheint der Gewinner sich immer noch nicht gemeldet zu haben.

Ich finde das richtig tragisch. Armer Kerl, da macht er den Gewinn seines Lebens und dann verliert er seinen Lottoschein. Oder der Unglücksrabe hat den Zettel vielleicht selbst weggeworfen, weil er eh nicht mit einem Gewinn gerechnet hat.

Oder könnte es sein, dass der Gewinner das Geld gar nicht will? – Mir fällt ein Mensch ein, dem ich das zugetraut hätte, dem Dichter Matthias Claudius. Das ist der, der „Der Mond ist aufgegangen“ gedichtet hat. In einem anderen Gedicht hat er geschrieben:

Ich bete Gott „von Herzen an, Dass ich auf dieser Erde / Nicht bin ein großer reicher Mann, / Und auch wohl keiner werde“. Reichtum, meint Matthias Claudius, kann einen auch verderben und einem das Herz verdrehen. Geld „gewährt zwar viele Sachen; / Gesundheit, Schlaf und guten Mut / kann's aber doch nicht machen“, schreibt er.

Und so hat Matthias Claudius auch tatsächlich gelebt. Gut bezahlte Jobangebote hat er abgelehnt oder die Stellen nach kurzer Zeit wieder an den Nagel gehängt. Die meiste Zeit seines Lebens hat er als freier Schriftsteller gearbeitet und in einem kleinen Haus auf dem Land gelebt. Mit seiner Frau Rebecca war er glücklich verheiratet. Seine zwölf Kinder hat Matthias Claudius selbst zu Hause unterrichtet. Er hat hervorragend Klavier gespielt, ist viel spazieren gegangen, hat gerne Freunde eingeladen und Feste gefeiert.

Geld hat Matthias Claudius nie viel gehabt. Es ist immer knapp zugegangen im Haus des Dichters. Aber dafür hat er so gelebt wie er wollte. Er hat sich nicht verbogen, ist keine faulen Kompromisse eingegangen. Vielleicht war er deshalb auch mit sich im Reinen. Er konnte sich über sich selbst und sein Leben freuen. Die erste Strophe in seinem Gedicht über Reichtum und Geld geht so:

 „Ich danke Gott, und freue mich / Wie 's Kind zur Weihnachtsgabe, / Dass ich bin, bin! Und dass ich dich, / Schön menschlich Antlitz! Habe“. – Für mich spricht aus diesen Worten keine Eitelkeit, sondern eine große Freude am Leben.

Vielleicht geht es so ähnlich ja auch dem Lottogewinner aus Reutlingen. Auch wenn es einem sehr schwer fällt, sich das vorzustellen: Vielleicht ist er ja gar kein armer Kerl und kein Unglücksrabe, sondern auch ohne die 11 Millionen glücklich und zufrieden mit sich selbst.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26538
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