Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Wenn man Leute fragt, was im Advent den meisten Stress macht, dann sind sich viele einig: Geschenke kaufen. Etwas Nettes aussuchen für die, die man gern hat, das kann ja auch Spaß machen, vorausgesetzt, man hat ein bisschen Zeit, ein bisschen Geld und – eine Idee. Aber da geht es schon los: Traue ich mich, etwas zu schenken, von dem ich nicht hundertprozentig weiß, dass es den Geschmack auch trifft? Und umgekehrt genauso: Will man wirklich überrascht werden von einem Geschenk mit dem Risiko, dass es einem nicht gefällt? Oder doch lieber ganz genau beschreiben, was es sein soll und wie und wie bitte nicht?
Ja, es ist heikel, das Schenken. Kein Wunder, dass viele resignieren und lieber Geld oder Gutscheine verschenken als sich lange den Kopf – und das Herz – zu zerbrechen über etwas, das dann doch nicht recht ist. Ich mach das mittlerweile auch oft so. Dann kann ich nichts falsch machen und bin auf der sicheren Seite.
Aber so ganz glücklich bin ich nicht mit dem Gutscheinaustausch, ich vermisse da auch etwas. Ich vermisse, dass sich jemand Gedanken macht, was zu mir passt, was ich brauchen kann und was mir gefällt. Und ich vermisse das Risiko, das in allen diesen Entscheidungen steckt. Ein Geschenk, das ich aussuche, kann treffen oder auch daneben liegen, aber es ist verbindlicher – ich meine dich und nicht irgendwen, und du meinst mich, und das verbindet uns.
Natürlich riskiere ich damit, dass sich im Lauf der Jahre auch manches sammelt, was ich mir, na ja, nicht unbedingt gewünscht hätte. Ich habe mir angewöhnt, Dinge erst mal eine Weile wirken zu lassen, bevor ich sage: Das gefällt mir überhaupt nicht. Und hin und wieder geschieht dann ein kleines Wunder, und ein Geschenk, das zuerst ungeliebt herumstand, wächst mir wirklich ans Herz. Wie die künstliche Blume, die ich nicht häkeln würde. Sie erinnert mich an die Frau, die sie für mich gebastelt hat. Aus alten Strumpfhosen und Wollresten, die sie geschenkt bekam, denn um was zu kaufen, hätte sie kein Geld gehabt. Als sie mir die Blume überreichte, sah ich ihr an, dass es für sie der Inbegriff von Schönheit war. Inzwischen finde ich sie auch schön, und ich geniere mich nicht mehr dafür, dass ich sie schön finde. https://www.kirche-im-swr.de/?m=2644
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