SWR3 Gedanken

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Es ist spätabends. Ich sitze im Bus, vor mir zwei kichernde junge Frauen. Auf einmal steigt eine Gruppe junger Männer ein. Fast sofort fangen sie an, die Mädchen aggressiv anzumachen. Und ich? Ich habe Angst. Was, wenn ich was sage und Zorn und Wut sich gegen mich richten würden?

Auf der Arbeit. Mein Chef mag einen Kollegen nicht. Der Kollege ist ganz nett, aber vom Chef kommen immer wieder stichelnde Witze und beleidigende Bemerkungen. Und ich? Ich habe Angst, wenn ich etwas sage, könnte ich die Nächste sein oder gar meine Stelle verlieren. Also schweige ich.

Sieben Wochen ohne kneifen. So fing vor ca. 40 Tagen die Fastenaktion der evangelischen Kirchen an. Nicht kneifen in der Fastenzeit vor Ostern; wenn Unrecht geschieht, nicht weggucken; mutig sein. Gut, habe ich gedacht und es ausprobiert.

Ich habe im Bus dann tatsächlich nicht weggeguckt. Ich bin aufgestanden und habe mich zu den jungen Männern gesetzt. Gefragt, wo es so spät abends noch hingeht. Und da haben sie angefangen zu erzählen: von doofen Eltern und blöden Lehrern und der Ausbildung, die ganz ok sei. Beim Aussteigen haben sie sich alle total höflich von mir verabschiedet.

Und auf der Arbeit? Ich habe dem Chef ganz freundlich gesagt, dass ich seine Witze gegen den Kollegen nicht lustig finde. Er hat nichts geantwortet, aber er hat aufgehört mit seinen Kommentaren. Und die anderen Kollegen waren total erleichtert und haben sich tausendfach bei mir bedankt.
Nicht kneifen, das ist nicht einfach. Aber es tut gut. Nicht nur in der Zeit vor Ostern, sondern das ganze Jahr über.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26143
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