Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Vor drei Wochen war ich krank und habe meine Hausärztin aufgesucht. Wie geht es dir, war ihre erste Frage. Dann hat sie mich gefragt, was mir fehlt. Darauf habe ich ihr meine Symptome geschildert. Sie hat mich abgehört und mich gefragt, was denn in nächster Zeit so ansteht an wichtigen Terminen. Aufgrund dieser Fragen hat sie mir Medikamente verordnet, verbunden mit der Aufforderung, mich zu schonen und auf mich aufzupassen, dass es bald wieder bergauf geht. Es wird aber eine Zeit dauern, gab sie mir mit auf den Weg.

Ich bin froh, dass meine Hausärztin nicht gleich den Rezeptblock zückt, sondern dass sie sich Zeit nimmt. Leider ist das heute nicht selbstverständlich.

Wenn Menschen zum Gespräch zu mir kommen, nehme ich mir auch Zeit für sie, manchmal sogar mehrere Stunden. Ich denke da an mehrere Gespräch mit einer Person, die nicht mehr wusste, wie sie ihr Leben nach einer falschen Entscheidung wieder in den Griff bekommen sollte. Bis wir wirklich am Kern, beim eigentlichen Thema angekommen sind, hätte ein Treffen gar nicht gereicht. Am Ende unserer Gespräche hatte die Person wieder Mut und Zuversicht und einen Weg für sich gefunden.

Viele Menschen suchen einen Gesprächspartner, der zuhört und nicht sofort Lösungen parat hat. Einen, der Zeit für sie hat. Genau dafür werde ich bezahlt, um Zeit für die Menschen zu haben.

Gerade wenn es um das eigene Leben geht und um die Schwierigkeiten damit, brauchen Menschen Zeit, um sich zu öffnen. Das geht dann nicht so auf Kommando. Erst muss Vertrauen aufgebaut werden. Schließlich erzählt man dem anderen Dinge, die man nicht jedem erzählen würde. Genau aus diesem Grund gibt es auch das sogenannte Seelsorgegeheimnis. Der Pfarrer darf nicht anderswo erzählen, was er in einem Seelsorgegespräch erfahren hat.

Im Gespräch geht es dann darum, neue Wege zu finden. Oft geht es zuerst auch einmal um das Bewusstwerden eines Zusammenhangs, bevor Lösungen gefunden werden können.

Doch ab und zu heißt es auch einfach, die Situation auszuhalten, weil keine schnelle Lösung vorhanden ist.

Aber auch zu erleben, wie die Last und Mühe, die sich in den Augen und im Gesicht ausdrücken, langsam leichter werden. Wie sich die Gesichtszüge entspannen und ein Leuchten in die Augen zurückkehrt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26082
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