Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Demenz. Das ist eine schlimme Krankheit, die vor allem alte Menschen trifft. Sie vergessen zuerst Geldbeutel oder Schlüssel, dann kommen ihnen Telefonnummern und Namen nicht mehr in den Sinn. Irgendwann erkennen sie sogar die nächsten Verwandten nicht mehr. Und schließlich verlieren sie sich selbst. Vergessen, was sie sind. Auch ihr Innerstes. Das, was sie ausmacht.
Für die Angehörigen ist das oft noch schlimmer als für die Betroffenen selbst. Und es gibt viele, die das bis ganz zum Schluss nicht fassen und wahrhaben wollen: Wie kann ein Mensch sogar sich selbst vergessen? Das ist doch unbegreiflich! Und hat das Leben auf diese Weise überhaupt noch Bedeutung?

Zu biblischen Zeiten kannte man noch keine Krankheit namens Demenz. Jedenfalls die Bezeichnung gab es nicht. Und meistens sind die Leute ja auch nicht so alt geworden. Aber dass Menschen auch das Wichtigste vergessen können, das wusste man. Der Prophet Jesaja hat den Menschen Worte von Gott weitergesagt. Darunter auch das hier: „Bringt eine Mutter es fertig, ihren Säugling zu vergessen? […] Selbst wenn sie es […] könnte, ich vergesse euch nicht.“ [Jesaja 49,15]

Ich verstehe das so: Gott rechnet auch mit dem Unbegreiflichen. Er sieht, dass den Menschen sogar das Allerwichtigste aus dem Gedächtnis gleiten kann. Bei Demenz dann sogar, wer sie eigentlich sind. Aber Gott vergisst keinen Menschen. Und er behält auch in Erinnerung, wie ein Mensch ist und was ihn ausmacht. Was ich bin und wie ich bin – vielleicht hängt das gar nicht an mir selbst. Sondern es kommt darauf an, dass jemand anderes mich kennt. Und das gibt meinem Leben Bedeutung.

Manche sagen inzwischen: Demenz ist eigentlich gar keine Krankheit. Sondern eine Lebensphase, die eben kommen kann, wenn Menschen sehr alt werden. Und eine gewaltige Herausforderung für die vermeintlich Gesunden. Ihr Auftrag ist es nämlich, Menschen auch dann nicht zu vergessen, wenn sie sich selbst vergessen.

Bei uns im Ort gibt es seit einem Jahr das „Café Memory“. Ein wöchentlicher Dienstagnachmittag für Menschen, die vergesslich werden. Ein Ort, an dem gelacht wird, und geweint, und gegessen, und gespielt, und erinnert. Die Angehörigen haben in dieser Zeit frei, können tun, was ihnen gut tut. Fachkräfte bringen sich dort ein im Café Memory, und viele Ehrenamtliche, und auch Spender. Sie alle setzen sich ein für andere Menschen. Und viele von ihnen sagen, dass sie selbst nebenbei ganz viel zurückbekommen.

Für mich ist das ein Zeichen: Gott vergisst tatsächlich keinen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25946
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