Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Eigentlich geht es mir gut, aber irgendwie ist immer alles zusammen zuviel.“ Ich habe diesen Satz häufiger gesagt als mir lieb war. Seit einer Weile schon versuche ich so zu leben, dass ich ihn nicht mehr sagen muss.

Dazu muss ich mir jeden Tag bewusst machen, wie gut ich es habe und wie reich ich bin. Menschen neigen dazu, das was selbstverständlich gut ist, nicht mehr zu bemerken. So wie die Luft, die immer da ist und die wir jeden Augenblick einatmen.

Warum rutscht das alles im Alltag so leicht weg?

Ich bin Grundschullehrerin und habe viele Wochen Ferien. Aber sobald die Ferien vorbei sind und der normale Schulalltag begonnen hat, habe ich das Gefühl in einem Hochgeschwindigkeitszug zu sitzen, dessen Tempo und Haltestellen andere festgelegt haben. Schon nach wenigen Tagen ist mir oft alles zu viel. Die letzten Ferien sind wie weggeblasen. Kaum zu glauben, dass es sie überhaupt gegeben hat. Es stimmt, dass mich mein Arbeitsalltag als Lehrerin fordert. Und es stimmt, dass ich mich in meinem Alltag fast jeden Tag über etwas freue. Über die Ziegen, die zu unserer Schule gehören und die wir aus dem Fenster unseres Klassenzimmers beobachten können. Oder über den wunderschönen Blick, den wir von unserer Schule aus auf Tübingen haben. Außerdem bin ich echt gerne Lehrerin, finde meine Arbeit mit den Kindern faszinierend und fühle mich beschenkt, dass ich sie für eine bestimmte Zeit begleiten darf. Es gibt vieles in meinem Leben womit ich zufrieden bin. Nur, wie könnte sich das auswirken auf das, was mich stresst?

Ich will nicht einfach zudecken, was mich belastet. Ich halte nichts davon, mir vorzumachen, es wäre alles nur halb so schlimm. Aber ich will mich auch nicht damit abfinden. Ich suche weiter, wie das, was mich zufrieden macht und im Alltag freut, tragfähiger wird. Dazu gehört, dass ich manchmal bewusst vor den großen Fenstern in der Schule stehen bleibe und das Morgenrot über Tübingen sehe. Oder dass ich mir jeden Tag besonders viel Zeit nehme für eines der 21 Kinder meiner Lerngruppe. Damit ich nicht aus dem Blick verliere, dass jedes Kind einzigartig ist. Wenn mir das gelingt, ist es, als ob ich aussteigen würde aus dem Hochgeschwindigkeitszug, jedenfalls für kurze Zeit.

Das ist nicht immer einfach. Aber es lohnt sich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25940
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