SWR2 Wort zum Tag

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Glück kann man nicht planen. Glücksmomente kommen unverhofft. Neulich zum Beispiel, im Familiengottesdienst. Die Kinder sind gesegnet worden – und sie waren eingeladen, ihren Eltern den Segen weiterzugeben. Unser neunjähriger Sohn stand kurz unschlüssig vor uns. Immerhin war er morgens noch wirklich sauer auf uns gewesen. Aber dann hat er sich einen Ruck gegeben: „Gott segne dich“, hat er gesagt und seine Hände auf meine gelegt.

Ein wunderbarer Moment. Besonders schön aber war, dass es so unverhofft kam – ich konnte gar nichts dafür tun. So geht es mir oft: Die eigentlichen Glückmomente sind die, die ich nicht erhofft oder erwartet haben. Wenn mir Gutes einfach geschieht – unvermutet, unverfügbar und unverdient.

Die Bibel kennt das Wort „Glück“ eigentlich nicht. Dabei müssen die Menschen damals dieses Gefühl doch auch gekannt haben. Aber vielleicht gibt es in der Bibel ein anderes Wort dafür. Ein Text der Theologin Dorothee Sölle hat mich drauf gebracht. Sie hat sich mit dem Wort „Gnade“ beschäftigt.

Um „Gnade“ geht es in der Bibel und in der Kirche oft. Meistens im Zusammenhang mit Sünde im moralischen Sinne. Wenn wir Gnade hören, denken wir am ehesten an juristische Vorgänge. Dorothee Sölle aber versteht Gnade viel weiter:

„Gnade ist mehr als Begnadigung vor dem Richter“, schreibt sie. „Was Gnade im umfassenden Sinn bedeutet, lässt sich am einfachsten mit einem Alltagswort als „Glück“ benennen. Jedes große wirkliche Glück hat in unserem Erfahren den Charakter des unverdienten Geschenks.“ (Dorothee Sölle, Erinnert euch an den Regenbogen, Freiburg 2. Auflage 1999, S. 161)

Ich finde den Gedanken von Dorothee Sölle bereichernd. Weil sie mir das heute eher fremde Wort „Gnade“ noch einmal neu erschließt. Vor allem aber, weil ich so besser verstehe, was eigentlich glücklich macht. Zum Beispiel als ich neulich im Urlaub nicht nur den Schließfachschlüssel, sondern auch noch die Nummer des Fachs vergessen hatte: Da hat der Hausmeister tatsächlich geduldig Fach für Fach geöffnet – und damit nicht nur die eingeschlossenen Schuhe, sondern auch unseren ganzen Ferientag gerettet. Was für ein Glück! Oder wenn ich abends, nach einem anstrengenden Tag mehr aus Verpflichtung noch mit ins Konzert hetze – und die Musik mich dann plötzlich ganz erfüllt. Wie wunderbar!

Solche Glückmomente kann sich niemand von uns erarbeiten oder verdienen kann. Denn Glück ist das, was ich unverdient bekomme. Ein Geschenk.

Glück suchen, das heißt dann eigentlich nur: Warten können. Und aufmerksam sein, um sie im Alltag nicht zu verpassen, die großen und kleinen unverhofften Glücksmomente. So wie der, den ich neulich am Sonntagmorgen erleben durfte: Zuerst ein kritischer Blick – und dann doch ein Segen. Für mich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25834
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