Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Fasziniert schaue ich der kleinen Sophie über die Schulter: Sie ist mit Feuereifer dabei, die senkrecht gespannten „Kett-Fäden“ in ihrem kleinen Web-Rahmen mit bunter Wolle zu durchschießen. „Kette und Schuss“, heißt das im Weber-Latein.

Ab heute sind uns im Kalender dieses neues Jahres – so Gott will und wir leben -  noch 363 Tage wie „Kettfäden“ in einem Web-Rahmen vorgespannt. Ein Gewebe ist das noch lange nicht! Nun liegt es an uns, ob wir – wie die kleine Sophie – das „Weber-Schiffchen“ in die Hand nehmen und die „Kettfäden“ durchschießen, damit ein Textil daraus wird, wärmend und schön.

Ich möchte heute einen bunten Faden „Dankbarkeit“ einweben. Wie schön, dass mir dieser Tag geschenkt ist, dass ich es gut und warm habe, und ich mich in Liebe geborgen weiß. Es wird allerdings auch in diesem Jahr nicht an „Grautönen“ fehlen: Ich denke an Tage voller Missmut und Enttäuschung, das banale Einerlei des Alltags. Vielleicht mischt sich auch ein schwarzer Strang ins bunte Gewebe, wenn Abschiede zu bewältigen sind und Trauer auszuhalten ist. Hoffentlich strahlt auch ein kräftiges Rot, nämlich Liebe, Lust und Leidenschaft. Die Freude, etwas zu gestalten, mitzumischen und Verantwortung zu übernehmen. Ach – auch ein sattes „Blau“ muss noch hinein: „Blau machen“ und auch mal die Seele baumeln lassen.

Sophie greift nun zu einem Weber-Kamm, um die eingewobenen Fäden dichter aneinander zu rücken – ja, nur so wird aus dem löchrigen Stück ein festes Gewebe, das sie nun stolz präsentiert.

Den Menschen in der Bibel war das Bild des Webers vertraut. Für den Apostel Paulus, als Tuchmacher ohnehin vom Fach, flicht sich Gott ins Gewebe mit ein, „denn in ihm leben, weben und sind wir“, predigt er in Athen (Apostelgeschichte 17,28).  

Leben und Weben – Ich hoffe, dass dieses Jahr mit Gottes Hilfe ein Kunstwerk wird, das ich ihm am Ende meines Lebens dankbar hinhalten kann mit den Worten, die uns vom Propheten Jesaja (38,12) überliefert sind: „Wie ein Weber hast du mein Leben zu Ende gewoben, du schneidest mich ab wie ein fertig gewobenes Tuch“.

 

 

 

 

 

 

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