Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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 Schon ist Weihnachten wieder abgehakt, die große Geburtstags-Sause. Als solche wird dieses Fest ja allenfalls noch wahrgenommen. Was aber verbirgt sich hinter der Geburt Jesu? Dass Gott selbst hineingeschlüpft ist in unser armseliges Menschsein. „Er nahm die Gestalt eines Sklaven an und wurde uns Menschen gleich“, heißt es in der Bibel (Philipperbrief 2,7). Sich einzulassen in das Schicksal Mühseliger und Geplagter – das zählt seitdem zur christlichen Agenda.

Eine, die das überzeugend getan hat, war eine frühe, mutige Frauenrechtlerin namens Elisabeth Gnauck-Kühne. Sie wurde heute vor 168 Jahren in der Nähe von Braunschweig geboren. Als Lehrerin und spätere Leiterin eines „Instituts für höhere Töchter“ war sie fest im bürgerlichen Milieu verwurzelt. Wachen Auges aber sah sie das Elend und die Ausbeutung der Arbeiterinnen von damals. Zum Entsetzen ihrer Umgebung tauchte sie selbst eine Zeit lang ganz in die Arbeitswelt ein und arbeitete in einer Berliner Kartonagenfabrik. Sie wollte die grausamen Arbeitsbedingungen am eigenen Leib erfahren. Nein, es gehe ihr als Christin dabei nicht um Wohltätigkeit, schreibt sie, sondern vielmehr um „Hilfe zur Selbsthilfe“. Daher hat sie später auch den Streik der Berliner Arbeiterinnen unterstützt und für sie das Recht eingefordert, sich zu organisieren.

Bis zu ihrem Tod im Jahre 1917 setzte sich die studierte National-Ökonomin für die Rechte der Frauen ein. Die „wirtschaftlich Schwächsten sind die Arbeiterinnen“, schreibt sie. Elisabeth Gnauck-Kühne engagierte sich in der evangelischen Frauenbewegung und war nach ihrer Konversion an der Gründung des „Katholischen Frauenbundes“ beteiligt. Sie gilt als eine der ersten Sozialpolitikerinnen. Manche sehen in ihr die „katholische Clara Zetkin“. Mit dieser sozialistischen Arbeiterführerin stand sie nämlich in Briefkontakt.

Ja - da hat sich eine wirklich mit Haut und Haaren aufs Evangelium Jesu Christi eingelassen und ist – wie er – eingetaucht in das Schicksal derer, die damals schwer zu tragen hatten. Der Mut dieser Frau ist ansteckend. Wer getauft ist, sollte sich immer wieder fragen: Wo ist mein Ort, an dem ich mich einbringe – nicht mit großen Worten, sondern einfach durch Nähe und Solidarität.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25662
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