Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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23NOV2007
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„Öffnen Sie bitte mal den Koffer!“ Sie kennen diese Worte, die gelegentlich bei der Zollkontrolle fallen. Wer nichts zu verbergen hat, kann das Verlangte getrost tun. Anders ist es, wenn im Koffer Sachen liegen, die eigentlich nicht da hineingehören.

So ist es der heiligen Elisabeth von Thüringen gegangen. Am 19. November war ihr 800. Geburtstag. Es war kein Zöllner, der sie auf ihrem Weg von der Wartburg hinunter nach Eisenach anhielt. Es war auch kein Koffer, den sie bei sich trug, sondern ein Korb mit Broten. So erzählt es eine der vielen Legenden, die es über ihr Leben gibt. Aber ihrem Schwager, der nach dem Tod ihres Mannes Ludwig die Regentschaft über Thüringen übernommen hatte, gefiel es nicht, dass die junge Witwe sich der zahllosen Armen und Kranken annahm. Die Legende verdichtet dieses Ereignis in den Broten, die Elisabeth im Korb bei sich trug. Die Legende erinnert gleichzeitig an die vielen schrecklichen Hungersnöte, die es damals in ganz Europa gab.

Elisabeth reagierte darauf, indem sie die gesamte Jahresernte aus den Kornspeichern des landgräflichen Besitzes an die Armen verteilte. Sie tat das nicht unüberlegt naiv, sondern in täglichen Rationen, um Missbrauch und Schwarzhandel gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Als Heinrich nun in den Korb seiner Schwägerin schaute, sah er anstelle der vermuteten Brote lauter frisch duftende Rosen. Lächelnd – so die Legende – ging er davon und ließ sie gewähren. Die Bedeutung der Rosen verstand er allerdings nicht. Sie verdeutlichen, was Elisabeth zum Verteilen der Brote angetrieben hat: die Liebe. Und die ist nicht berechnend, sondern verschwenderisch. „Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht“, heißt es in einem Lied, „dann hat Gott unter uns schon sein Haus gebaut, dann wohnt er schon in unserer Welt. Ja dann schauen wir heut schon sein Angesicht in der Liebe, die alles umfängt.“

Brotverteilen als Ausdruck der Liebe Gottes – das hat Mitglieder unserer Gemeinde vor etlichen Jahren dazu angetrieben, einmal monatlich Kirche und Gemeinderäume für alle zu öffnen, die sich nach Brot und mehr noch nach menschlicher Wärme sehnen. „Kathys Vesper“ heißt diese Einrichtung, benannt nach der Namenspatronin unserer Kirche, der heiligen Katharina. Dem Essen voraus geht eine kurze Andacht. Kirche und Saal sind an diesen Sonntagabenden meistens voll. Und manchmal stehen auch Rosen auf dem gedeckten Tisch.

Pfarrer Joachim Pfützner, von der Alt-Katholischen Kirche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=2554
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