Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ein Fremder im Ehebett! Überraschend war der Ehemann von einer Reise nach Hause zurückgekehrt. Und nun diese Nachricht. Auf der Stelle eilte er ins Schlafzimmer, um sich von der Ungeheuerlichkeit zu überzeugen. Er trat ans Bett, riss die Decke weg, aber was er sah, war nicht ein fremder Mann, sondern das Bild des gekreuzigten Jesus.
Eine Geschichte – fromm und provozierend: Eine von zahlreichen Legenden, die sich um das Leben der heiligen Elisabeth von Thüringen ranken. In diesem Jahr wird ihr 800. Geburtstag begangen. In dieser Woche, am 19. November, war ihr Gedenktag.
Die Legende hebt Elisabeths ganz persönliche und unmittelbare Zuwendung hervor, die sie den Ärmsten der mittelalterlichen Gesellschaft geschenkt hat – sehr zum Verdruss ihrer Gegner, die sie am liebsten von ihrem Wohnsitz, der Wartburg bei Eisenach, vertrieben hätten. Doch das gelang ihnen nicht, weil ihr Ehemann, Landgraf Ludwig IV. von Thüringen, zu ihr hielt. Man kann sich denken, dass es am Hof wohl immer wieder zu Intrigenversuchen gegen Elisabeth gekommen war.
Doch für sie war die Botschaft Jesu entscheidend: : „Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen…“. Dass Jesus für die Bedürftigen und Notleidenden nicht nur da war, sondern sich mit ihnen identifiziert hat – das hat Elisabeths Herz erfüllt und sie zum Handeln herausgefordert.
800 Jahre später in unserer Kirchengemeinde in Stuttgart: Auf dem kleinen Rasenstück vor dem Gemeindesaal fanden wir immer wieder Spuren von Drogenabhängigen. Wir begannen uns für die Menschen zu interessieren, die diese Spuren hinterließen. Wir entdeckten junge Männer, die der Prostitution nachgingen. In Zusammenarbeit mit der AIDS-Hilfe Stuttgart und dem Gesundheitsamt suchten wir diese Menschen auf: um ihre Gesundheit zu schützen, aber auch, um ihnen nahe zu sein wie Elisabeth und ihnen das zu geben, was sie in ihrem Leben kaum erfahren hatten: ihre Menschenwürde. Als Anlaufstelle gründeten wir für sie das Café Strich-Punkt. Zweimal wöchentlich haben wir sie seitdem in unseren Gemeinderäumen zu Gast. Und der gekreuzigte Jesus ist immer dabei – im Bild an der Wand und in den Menschen, die hier zusammenkommen.
Pfarrer Joachim Pfützner aus Stuttgart, von der Alt-Katholischen Kirche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=2553
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