SWR2 Wort zum Tag

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„Kein Mensch ist eine Insel“. Dieser Spruch steht heute in meinem Adventskalender. Der Satz fängt die Empfindung ein: Menschen leben nicht beziehungslos, sondern stets bezogen auf das, was sie umgibt.

Der Satz hat sich als Zitat, als Buchtitel, sogar als Graffiti-Spruch längst selbständig gemacht. Ursprünglich stammt er aus einem Gedicht von John Donne, der etwa zur Zeit Shakespeares gelebt hat. Dieses Gedicht fängt auf Englisch mit eben dem Satz an: „No man is an Iland.“ – Kein Mensch ist eine Insel.

Der deutschen Version geht leider das geniale Wortspiel ab, mit dem das Thema des Gedichts pointiert wird: Denn im Englisch des John Donne schreibt sich das Wort „Island“ – das unserem „Eiland“ entspricht – noch nicht mit „s“ sondern ohne: „iland“. Und damit bekommt das alte Wort einen aufregenden Doppelsinn: „No man is an iland“ heißt dann nämlich auch: Kein Mensch ist ein Ich-Land.

Das Gedicht geht weiter: „...begrenzt in sich selbst. / Jeder Mensch ist ein Stück vom Kontinent, ein Teil aus dem Ganzen; … / jedermanns Tod macht mich geringer, / denn ich bin verstrickt ins Schicksal aller ...“

Kein Mensch ist ein Ich-Land. Schon in der Schöpfungserzählung heißt es: „Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine sei, ich will ihm eine Hilfe schaffen.“ (1.Mose 2,18) Der Schöpfer formt aus Erde, aus der Adamah, den Adam, und aus ihm einen zweiten Erdling, Eva genannt, Mutter allen Lebens. In der Vorstellung der Erzähler das erste Menschenpaar, im ursprünglichen Text heißt es allerdings zunächst einmal: eine Hilfe.

Das Ich, der Mensch, braucht ein Gegenüber, braucht eine Hilfe und eine Ergänzung, braucht einen, mit dem er reden, lachen und streiten, den er lieben, umsorgen und fragen kann. Braucht eine andere Sicht auf die Welt als nur die eigene, braucht andere Klänge und Töne und Worte, als er allein sie finden kann.

Dass der Mensch nicht alleine sein soll, ist in der Schöpfungserzählung kein Plädoyer für traute Zweisamkeit. Vielmehr soll er sich als Teil der ganzen Schöpfung verstehen. Denn zunächst einmal bekommt der Erdling Adam Gesellschaft von den Tieren auf dem Feld und den Vögeln unter dem Himmel. Und dann erst eine Hilfe, die ihm entspricht.

Kein Mensch ist eine Insel – kein Mensch ist ein Ich-Land. Gerade in der Adventszeit lässt sich dem gut nachspüren. Die Bereitschaft wächst, einander eine Hilfe zu sein. Das zeigt sich auf ganz verschiedene Weise: in großherzigen Geldspenden, in der Aufmerksamkeit für Andere, darin, dass Menschen erleben, wie gut ist es, füreinander da zu sein.

No man is an iland, Entire of itself, Every man is a piece of the continent, A part of the main. If a clod be washed away by the sea, Europe is the less. As well as if a promontory were. As well as if a manor of thy friend's Or of thine own were: Any man's death diminishes me, Because I am involved in mankind, And therefore never send to know for whom the bell tolls; It tolls for thee.
(John Donne, 1572-1631)

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