Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Warten ist ärgerlich, zum Beispiel an der Ampel oder im Wartezimmer beim Arzt. Und erst recht im Stau. Aber Warten ist nicht nur ärgerlich. Warten macht Dinge auch wertvoll.

Im März 2016 habe ich ein Zusatzgerät für meine elektrische Gitarre bestellt. Direkt beim Hersteller, einer kleinen Firma in den USA. 19 ärgerlich lange Monate habe ich darauf warten müssen. Vor drei Wochen ist es dann angekommen. Als ich das Gerät endlich in den Händen hielt, habe ich mich riesig gefreut. Und das tue ich jedes Mal, wenn ich es sehe und benutze. Das lange Warten hat es für mich wertvoll gemacht.

Deshalb denke ich: Vielleicht ist es gar nicht so gut, dass ich auf Vieles gar nicht mehr warten muss. Normalerweise kommen Dinge, die ich bestelle, am nächsten Tag mit der Post. Und wenn ich E-Mails schreibe, bekomme ich die Antwort innerhalb weniger Stunden. Wenn ich früher im Studium meiner jetzigen Frau einen Brief geschrieben habe, kam die Antwort erst nach Tagen. Aber wenn ich den Brief dann endlich hatte, war er wertvoller als jede E-Mail heute.

Warten macht die Dinge nicht nur wertvoll. Warten-Können ist auch eine wertvolle Eigenschaft. Das hat der Psychologe Walter Mischel herausgefunden. Er hat Kindergartenkinder vor ein Marshmallow gesetzt und ihnen gesagt: „Wenn Ihr es schafft, die Süßigkeit zehn Minuten lang nicht zu essen, dann bekommt Ihr eine zweite dazu“. Manche Kinder haben das geschafft, andere konnten nicht wiederstehen. 13 Jahre später hat Mischel die inzwischen jugendlichen Versuchsteilnehmer nochmal eingeladen. Er hat herausgefunden: Die, die als Kinder warten konnten, waren als junge Erwachsene erfolgreicher in der Schule. Sie konnten besser mit Rückschlägen umgehen, waren sozial kompetenter und seltener drogenabhängig als die, die nicht warten konnten.

Waten-Können ist wertvoll – auch für den Glauben. Denn manchmal lässt auch Gott auf sich warten. In einem Psalm in der Bibel betet einer: „HERR, wie lange willst du mich so ganz vergessen? Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir?“ (Psalm 13,6). Solche Sätze kommen mir auch manchmal über die Lippen, in stressigen oder belastenden Zeiten. Dann ist es gut, wenn ich warten kann. Wenn ich mir klar machen kann: Solche Zeiten dauern nicht ewig. Gott setzt ihnen immer wieder ein Ende. Die Menschen in der Bibel machen mir Mut, auf Gott zu warten. Auch der Beter des Psalms hat, nachdem er lange warten musste, Gottes Hilfe erfahren. Am Ende betet er: „Mein Herz freut sich, dass du so gerne hilfst. Ich will dem HERRN singen, dass er so wohl an mir tut“. (Psalm 13,6).

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25357
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