Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Man muss den Menschen ausnahmslos wie kleinen Kindern begegnen“. Als ich das neulich vor dem Schlafengehen in einem Roman (Fjodor Michailowitsch Dostojewski, Die Brüder Karamasow) gelesen habe, war ich überhaupt nicht einverstanden. Jedenfalls möchte ich nicht von den anderen wie ein kleines Kind behandelt werden. Und ich versuche auch selbst anderen Menschen auf Augenhöhe und nicht von oben herab zu begegnen.

Je mehr ich aber über diesen Satz nachdenke, meine ich, es ist was dran. „Man muss den Menschen ausnahmslos wie kleinen Kindern begegnen“, ich glaube, damit ist gar nicht so sehr ein Gefälle gemeint: ich oben der andere unten. Es gibt einige Dinge, die ich im Umgang mit Kindern beachte, die ich auch in der Begegnung mit Erwachsenen beherzigen könnte.

Zum Beispiel nachsichtig sein. Dass ich nicht jeden Fehler, jede Unhöflichkeit des anderen auf die Goldwaage lege. Oder, dass ich mich für den anderen verantwortlich weiß, dass ich nicht denke: der ist doch erwachsen, der muss allein mit seinem Leben klar kommen, ich habe schließlich meine eigenen Probleme und kann mich nicht auch noch um seine kümmern. Einem anderen Menschen wie einem Kind zu begegnen, bedeutet auch, dessen Chancen und Möglichkeiten zu sehen. Da ist noch nicht Hopfen und Malz verloren, auch ein erwachsener Mensch kann sich ändern, dazu lernen, sich weiterentwickeln.

Jesus nennt seine Jünger einmal Kinder. Mit „liebe Kinder“ (Johannes 13,33) spricht er sie an, obwohl das alles erwachsene Männer waren, manche vielleicht gleich alt oder sogar älter als Jesus selbst. Wenn ich mir anschaue wie Jesus mit seinen Jüngern und den Menschen, die ihm begegnet sind, umgegangen ist, dann finde ich das alles wieder: Er war sehr nachsichtig ihren Fehlern und Schwächen gegenüber, hat aber gleichzeitig versucht, sie zu fördern und weiterzubringen. Jesus sah in jedem einen einzigartigen, wertvollen Menschen, mit dem Gott noch viel vorhat. Mit Überheblichkeit hatte das bei Jesus nichts zu tun, aber viel mit Liebe und Wertschätzung.

Ich denke, von dieser – ich nenne es mal – pädagogischen Grundhaltung, mit der Jesus den Menschen begegnet ist, könnten wir alle uns eine Scheibe abschneiden. Das klappt nicht immer, aber wenn ich z.B. im Straßenverkehr daran denke, wie Jesus das gemacht hätte, dann werde ich mir vielleicht den einen oder anderen Druck auf die Hupe verkneifen. Und ich freue mich auch, wenn andere mit mir manchmal ein kleines Bisschen pädagogischer umgehen. https://www.kirche-im-swr.de/?m=2510
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