Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Wenn körperliche Schmerzen sehr stark sind oder lange anhalten, legt der Körper ein Schmerzgedächtnis an. Er merkt sich dann genau, wie sich das anfühlt und in welchen Situationen der Schmerz aufgetreten ist. Dieses Gedächtnis funktioniert so gut, dass schon die Erinnerung daran oder eine ähnliche Situation ausreichen kann, um den Schmerz wieder hervorzurufen. Auch dann, wenn die Ursache für den Schmerz schon behoben ist.  

Auch seelischer Schmerz kann sich festsetzen und ein solches Gedächtnis anlegen. Wer mehrmals erlebt hat, zurückgesetzt zu werden, erwartet irgendwann gar nichts anderes mehr und erlebt den bekannten Schmerz schon voraus, wenn eine solche Situation eintreten könnte. Der Körper und die Seele merken sich, was sie erlebt haben.  

Beim Schmerz scheint unser Gedächtnis wunderbar zu funktionieren. Das ist auch notwendig, denn Schmerz ist ein Zeichen für Gefahr und sichert das Überleben. Ein Kind muss nur einmal ein heißes Bügeleisen anfassen, um zu lernen: Vorsicht – das tut höllisch weh!  

Und wie ist das mit dem Glück? Gibt es eigentlich auch so was wie ein Glücksgedächtnis? Ich weiß nicht, was die Wissenschaftler dazu sagen würden. Aber meiner Erfahrung nach ist das beim Glück anders. Da kann ich etwas erleben, das mich überglücklich macht, und trotzdem gräbt es sich nicht so tief in die Erinnerung ein wie etwa das Gefühl von Trauer nach einem schweren Todesfall. 

Die Erinnerung an Schmerz brauchen wir zum Überleben, weil sie uns vor Gefahren warnt, das gehört zu den Gesetzen der Schöpfung. Aber nur überleben ist mir zu wenig, ich will mehr, ich will wirklich leben. Und dazu gehört, dass ich auch  das Glück, das ich erlebt habe, irgendwie in mir bewahre. Das wussten schon die Menschen, von denen die Bibel erzählt. „Lobe den Herr, meine Seele,“ heißt es in einem Psalm, „und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!“ So beten Juden und Christen seit 3000 Jahren. Um sich immer wieder bewusst zu erinnern, an das, was schön ist und gut und beglückend.  

Auch ich bete gern so, mit diesen Worten oder mit anderen oder auch ganz ohne Worte. Denn so zu beten, das heißt für mich auch: Gedächtnistraining. Glücksgedächtnistraining.

 

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25050
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