Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Die Bibel sagt: Der Mensch ist Gottes Abbild. Ihm ähnlich. Gemeint ist damit, dass jeder Mensch etwas von Gott in sich trägt. Und es formuliert einen Grundsatz: Der Mensch ist kostbar. Er verdient besonderen Schutz. Jeder Mensch ist unendlich wertvoll, egal wie alt, gesund oder leistungsfähig er ist. Ohne Unterschied!

Als Pfarrer hatte ich immer wieder mit Paaren zu tun, die sich sehr ein Kind wünschen und keines bekommen. Manche haben im Laufe von Jahren eine wahre Odyssee durchgemacht. Immer wieder haben sie es probiert, haben medizinische Hilfe in Anspruch genommen. Manche hat das an die Grenzen ihrer Partnerschaft gebracht, weil es sie zermürbt hat: so sehr zu wollen und dabei das Gefühl haben zu versagen.

An ein Paar erinnere ich mich besonders gut. Beide waren nicht mehr jung. Im Lauf der Schwangerschaft haben die Ärzte fest gestellt, dass ihr Kind einen Herzfehler hat. Ursache: ein genetischer Defekt. Erst waren die beiden so froh - und dann das. Sie waren oft bei mir und haben mir berichtet, wie heftig sie diskutieren und wie schwer es ihnen fällt, die richtige Entscheidung zu treffen: Sollen Sie es behalten, das kranke Kind? Was ich eingangs über den Menschen gesagt habe, hat dabei durchaus eine Rolle gespielt. Aber da gab’s natürlich noch andere Argumente: Ein Leben lang da zu sein für ein behindertes Kind. Das eigene Leben und die Pläne völlig darauf einzustellen. Das Gefühl, schuldig zu sein, egal welche Entscheidung sie treffen - Schuld am Genfehler, Schuld am Tod bei einer Abtreibung. Das Kind ist schließlich auf die Welt gekommen. Die Eltern waren glücklich und haben gleichzeitig oft geweint. Ich durfte den Buben taufen im Sonntagsgottesdienst der Gemeinde. Alle haben gesehen, dass er eine Behinderung hat. Und sie haben seine Eltern gesehen, ihn auf den Armen. Das war unglaublich eindrucksvoll: Zu erkennen, dass so ein behindertes Leben glücklich machen kann. Ich verstehe aber auch, dass Eltern davor Angst haben und dass sie das Risiko nicht auf sich nehmen wollen.

Wir sind es gewöhnt zu bestimmen, was wir kriegen. In Zukunft wird es möglich sein, noch viel mehr zu definieren: Größe, Haarfarbe, Geschlecht. Es ist seit kurzem möglich, das Erbgut von Embryonen zu verändern, Fehler buchstäblich herauszuschneiden. Noch ist es nicht erlaubt. Was passiert, wenn - das möchte ich mir gar nicht ausmalen.

Das Paar damals hat sich anders entschieden. Mich und viele andere hat das tief beeindruckt. Weil es den Menschen so sein lässt, wie er ist: verletzlich ... und nicht perfekt.

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