Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ungarn ist auf dem Weg von einer Demokratie zur Diktatur, schreiben die Zeitungen. Menschen- und Minderheitenrechte werden nicht geachtet und die Gewaltenteilung auch nicht. So ähnlich geht es zur Zeit in Polen und in der Türkei und auch in den USA.

Nun ja, sagen Sie jetzt vielleicht, das mag sein und es ist bedauerlich. Aber was können wir da tun und vor allem: Das ist ein politisches Thema, das ist kein Thema für die Kirche.

Nun habe ich vor ein paar Tagen einen evangelischen Bischof aus Ungarn gehört. Tamas Fabiny heißt er und ist das Oberhaupt der 210.000 evangelischen Christen in Ungarn. Der ist ganz anderer Meinung und hat gesagt: Das geht uns Christen sehr wohl etwas an. Gerade uns Christen.

In einer Rede hat er uns hier in Deutschland an Dietrich Bonhoeffer erinnert. Der hat ja Ähnliches erlebt. In Deutschland hatten 1933 die Menschen Hitler und seine Nazis gewählt – in einer demokratischen Wahl. Und dann hat sich Deutschland Schritt für Schritt in eine Diktatur verwandelt und Hitler hat den Zweiten Weltkrieg vom Zaun gebrochen. Schon 1940, als der Krieg gerade begonnen hatte, hat Bonhoeffer geschrieben: Das hätte nie passieren dürfen. Wir Deutschen, gerade auch wir Christen hätten dem deutlich und mutig entgegen treten müssen. Der ungarische Bischof hat aus Bonhoeffers Schuldbekenntnis zitiert und mich damit sehr betroffen gemacht. Bonhoeffer hat geschrieben: „Die Kirche bekennt, ihre Verkündigung von dem einen Gott, der sich in Jesus Christus … offenbart hat … nicht offen und deutlich genug ausgerichtet zu haben. Sie bekennt ihre Furchtsamkeit, ihr Abweichen, ihre gefährlichen Zugeständnisse. Sie hat ihr Wächteramt und ihr Trostamt oftmals verleugnet. Sie hat dadurch den Ausgestoßenen und Verachteten die … Barmherzigkeit verweigert. Sie war stumm, wo sie hätte schreien müssen, weil das Blut der Unschuldigen zum Himmel schrie.“[1]

Mich hat diese Erinnerung eines ungarischen Christen sehr angerührt. Und seither denke ich: Mache ich es mir nicht zu bequem, wenn ich mir sage: Das sind politische Fragen, die Christen und die Kirche sollen sich lieber um persönliche Glaubensfragen kümmern. Müssten wir nicht gerade auch hier in Deutschland viel deutlicher zu solchen Fragen reden und damit die Christen zum Beispiel in Ungarn unterstützen und ermutigen? Hier in Deutschland können wir das gefahrlos tun. Für den ungarischen Bischof Fabiny ist das womöglich schon bald anders.

Viele sagen, die Kirchen und die Christen sollen sich aus solchen Fragen heraus halten. Ich wüsste gerne, wie Sie das sehen.


 

[1] Dietrich Bonhoeffer, Ethik, München 19498, S. 120.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24924
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