Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Weinen ist vielen Menschen peinlich. Tränen in den Augen zu haben ist typisch menschlich. Unsere Augen scheinen ein Überlaufventil zu haben. Wenn ich mich sehr freue oder überglücklich bin, habe ich Tränen in den Augen. Wenn ich tief enttäuscht bin, schmerzlich erfahren muss, dass etwas nicht so läuft, wie ich es mir wünsche, dann schießen mir auch Tränen in die Augen. Wenn ich sehr traurig bin, dann kann ich das Weinen nicht zurückhalten. Ich sei „nah am Wasser gebaut“, sagen Freunde, weil ich schnell Tränen in den Augen habe, wenn ich berührt bin.
Weinen soll auch eine reinigende Wirkung haben, sagen medizinische Untersuchungen. Ähnlich wie bei Schweiß und Urin. Mit der Tränenflüssigkeit werden auch Giftstoffe ausgesondert. Ein Kollege von mir sagt immer scherzhaft. „Augenpipi“ und weiß wahrscheinlich gar nicht, wie recht er damit hat. Wenn Weinen tatsächlich auch eine reinigende Wirkung für unseren Körper hat, was heißt das dann für unsere Seele? Wenn es nicht Freudentränen sind, dann kommen mir Tränen, wenn ich zum Beispiel einen geliebten Menschen verloren habe, gescheitert bin oder sonst ein seelischer Schmerz mich plagt.
Eine Seele ohne Tränen kennt den Regenbogen nicht.“ sagt ein afrikanisches Sprichwort. Ein Regenbogen, faszinierend: Nach einem Regenschauer zeigt er sich am Horizont, manchmal nur schwach und manchmal auch klar und leuchtend in den schönsten Farben. Es wundert mich nicht, dass im ersten Buch Mose, der Genesis, der Regenbogen als starkes Symbol auftaucht. Am Ende der Geschichte von der Sintflut heißt es da: „Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich geschlossen habe zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier bei euch auf ewig: Meinen Bogen habe ich in die Wolken gesetzt; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde.“
Ein Regenbogen ist die Erfahrung, dass auch nach dem heftigsten Gewitter die Sonne wieder scheint, dass nach Flutkatastrophen das Leben weitergeht. Das Bild des Regenbogens hilft mir zu vertrauen, dass meine Tränen mir helfen können, die schwere Situation zu verarbeiten. Es muss mir nicht peinlich sein, wenn ich gerade traurig bin. Wenn Tränen fließen und Gefühle dadurch öffentlich werden, kann sich vielleicht auch etwas lösen und heilen. Weil ich Leid und seelischen Schmerz, das Tal der Tränen erfahren habe kann ich im Rückblick eher verstehen, dass ich dem Leben auch trauen darf. Das ist im Nachhinein für meine Seele wie das Blicken auf einen Regenbogen.

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