Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Seine Mitarbeiter hätten sicher ihren Augen kaum getraut, wenn sie ihn dort in der kleinen Küche hätten wirken sehen. Ist er es wirklich, oder sieht er ihm nur ähnlich? – Der Mann war nämlich Chef von mehreren tausend Mitarbeitern, und normalerweise bewegte er sich in der Vorstandsetage oder auf wichtigen Konferenzen. Aber wenn es seine Zeit zuließ, trug er sich zusammen mit seiner Frau in die Liste des Kaffeeteams ein. Das bedeutete sonntags früh da sein, Geschirr richten, Kaffee kochen, Kekse bereitstellen damit die Besucher nach dem Gottesdienst noch eine Zeitlang zum Kirchenkaffee zusammenbleiben konnten. Und anschließend musste natürlich noch gespült und alles wieder weggeräumt werden. Für viele ehrenamtliche Mitarbeiter war das nichts Besonderes. Aber dass dieser Mann zusammen mit seiner Frau ganz selbstverständlich mitmachte, das war doch alles andere als normal.

Er ist engagierter Christ und versucht die Vorgaben des Neuen Testaments im Beruf wie im Privaten ernst zu nehmen. Sein Vorbild ist Jesus. Von dem wird berichtet, dass er seinen Jüngern einmal sogar die Füße gewaschen hat, um ihnen ein Beispiel zu geben, wie sie miteinander umgehen sollten. Und ein anderes Mal sagte er zu ihnen: „Wer unter euch groß sein will, soll euer Diener sein (Mk 10,43).“ Das ist eine der paradoxen Aussagen, die ich immer wieder in der Bibel finde. Normalerweise ist es doch so: Wer groß und bedeutend ist, der lässt sich von anderen bedienen. Die Unterordnung der anderen zeigt mir meine Wichtigkeit. Aber es gibt da wohl noch eine andere Ebene, die man nicht verkennen darf, denn Macht macht mich blind für meine Defizite und die Risse in der eigenen Seele. Die gibt es ja doch auch – wahrscheinlich bei jedem Menschen. Wer sich im Glanz seines Einflusses und Erfolges sonnt, vergisst leicht, wer er wirklich ist.

Nein, es geht nicht darum, seine Fähigkeiten klein zu reden und den Einfluss, den man hat, nicht wahrzunehmen. Unsere Gesellschaft braucht Vordenker und Leiter, die wissen, was sie können und die das auch selbstbewusst einbringen. In der Wirtschaft, in der Politik, in der Kultur – überall. Um aber dabei nicht abzuheben, ist es wichtig, sich immer wieder mal zu erden und anderen zu dienen, um nicht zu verlernen, was Leben bedeutet und wer ich im Tiefsten bin und immer bleibe: Ein Mensch, der selbst bedürftig ist, den Gott aber gleichzeitig auch zum Segen für andere in diese Welt gestellt hat. Das gilt übrigens nicht nur für die, die es weit nach oben geschafft haben. Es gilt für jeden von uns.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24748
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