Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Wir leben in einer postfaktischen Zeit, heißt es oft. Das bedeutet: eine Zeit nach den Fakten. Für viele Menschen zählen die Fakten nicht mehr. Warum? Weil sie denen nicht mehr vertrauen, die die angeblichen Fakten liefern. Sie wollen nicht mehr glauben, dass die Welt so ist, wie die Politiker oder die Presse es ihnen sagen. Ich finde deshalb: Eigentlich leben wir nicht in einer post-faktischen, sondern in einer post-vertrauenden Zeit, in einer Zeit nach dem Vertrauen.

Dabei gehört das Vertrauen zum Menschsein dazu. Martin Luther war sogar davon überzeugt: Der Mensch ist zuallererst ein Vertrauender. Vertrauen ist nicht etwas, was man haben kann oder nicht. Es gehört zum Wesen des Menschen dazu.

Deshalb kann man gar nicht nicht-vertrauen. Wenn man den Politikern oder der Presse nicht mehr vertraut, muss man stattdessen auf etwas anderes vertrauen. Zum Beispiel dem, was Menschen in Internetforen schreiben. Oder dem, was Populisten sagen. Oder ich verlasse mich auf mein Gefühl. – Aber sind diese Dinge wirklich vertrauenswürdig? Informationen aus dem Internet, deren Verfasser ich gar nicht kenne. Mein Gefühl, das mich schon oft im Stich gelassen hat. Oder Populisten wie Donald Trump, der heute etwas sagt und morgen das Gegenteil davon.

Letzte Woche habe ich in Berlin zwei Bundestagabgeordnete kennen gelernt. Und ich hatte den Eindruck: Die machen ihre Sache gut. Die suchen in einer komplizierten Welt sehr ernsthaft gute Lösungen für die Menschen. Und genauso weiß ich von den Journalisten, die ich kenne: Sie folgen dem Ideal einer objektiven Berichterstattung. Sie wollen die Menschen möglichst neutral informieren. Und sie versuchen, Fakten streng von ihrer eigenen Meinung zu trennen. Wer daran zweifelt, kann sich ja selbst ein Bild machen. Er kann die Redaktion seiner Tageszeitung besuchen. Oder er geht in die Sprechstunde seines Bundestags- oder Landtagsabgeordneten und redet mit ihm über seine Zweifel.

Martin Luther war der Ansicht: Voll und ganz vertrauenswürdig ist nur Gott. Aber die Menschen können sich darauf verlassen, dass Gott sie mit guten Gaben versorgt. Luther hat einmal geschrieben: Ich vertraue darauf, „dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben […]; dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind“.
Für mich gehören in diese Aufzählung auch verantwortungsvolle Politiker und Journalisten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24677
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