Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Fälle nie eine Entscheidung, wenn du ganz froh oder ganz traurig bist!“ - sagt eine Lebensweisheit und hat natürlich Recht. Treffe ich eine Entscheidung in euphorischer Stimmung, besteht die Gefahr, dass ich die negativen Aspekte ausblende. Weil da alles so hell und klar ist. Entscheide ich etwas in schlechter Stimmung, dann kann es sein, dass ich manch positive Seite der Sache nicht sehe.
Und was gibt es nicht alles zu entscheiden im Leben! Heiraten oder nicht. Diese Stelle nehmen oder eine andere. Sich operieren lassen oder nicht. Sich scheiden lassen oder es doch noch einmal versuchen. Kündigen oder dem Mitarbeiter noch eine Chance geben. 
Bei allen Entscheidungen muss ich auch scheiden, das heißt, mich von etwas trennen, etwas loslassen, aufgeben. Das macht Entscheidungen auch so schwer. Deshalb können manche Menschen sich nur schwer oder gar nicht entscheiden. Oder weil sie allein die Vielzahl der Alternativen überfordert. Entscheidung ist immer ein Risiko, ich kann mich auch falsch entscheiden.
Darum ist es sinnvoll, die Dinge um die es geht, vor einer Entscheidung gut zu bedenken und zu befühlen. Manchmal mach ich das auch im Gebet. Und wenn dann alles genügend hin und her bewegt ist, lege ich das Für und Wider vor Gott. Lasse es dort eine Weile liegen und dann erst entscheide ich.
Eine Anekdote fasst diesen Entscheidungsweg ganz gut in ein Bild: 

Ein Adlerjunges fragte: „Wann darf ich mein Futter endlich selbst jagen? Niemand fliegt im Sturzflug so wie ich, kein Tier ist sicher, wenn ich angebraust komme“ „Probier‘s und sage mir dann, was du erlebt hast“, antwortete der alte Adler. Wie ein Pfeil stürzte sich der junge Adler aus dem Nest, so wie er es bei den ausgewachsenen Adlern gesehen hatte. Die Flügel angelegt, die Krallen bereit zum Zupacken. Er sah Hasen und Murmeltiere, aber keines der Tiere konnte er erwischen. Müde und hungrig kehrte er zurück. „Ich habe nichts erlegt und doch habe ich es so gemacht wie ihr“, berichtete der junge Adler traurig. „Das stimmt“, sagte der alte und flog bedächtig in den blauen Himmel. „Aber du hast das Kreisen vergessen.“ 

Quelle: „Wie das Krokodil zum Fliegen kam“ – 120 Geschichten, die das Leben verändern“ – herausgegeben von Katharina Lamprecht , Stefan Hammel, Adrian Hürzeler und Martin Niedermann. Erschienen 2016 im reinhardt – Verlag, München

 

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24595
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