Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Im Fitnessstudio kann man nicht nur die Muskeln stärken. Wenn man Glück hat, gerät auch der Kopf in Bewegung. Jedenfalls da, wo ich morgens, kurz nach 7 hingehe. Da sitze ich als erstes ein paar Minuten zum Aufwärmen auf dem Fahrrad. Neben mir andere gesundheitsbewusste Menschen. Und direkt über uns ein Spruchband: „Wunder gibt es nicht. Es gibt nur Training.“

Ist ja eigentlich klar. Mit der Anmeldung ist es nicht getan. Man muss auch hingehen und tapfer seine Übungen machen. Erst geht es mühsam und man fragt sich: warum bloß tue ich mir das an. Aber nach ein paar Wochen geht es besser. Die Beschwerden werden tatsächlich weniger und es macht sogar ein bisschen Spaß. Und irgendwann gehen Dinge – die habe ich nicht einmal als Schülerin in der Schulturnhalle hingekriegt. Es gibt Wunder. Wirklich. Aber nicht ohne Training.

Ich habe meiner Freundin davon erzählt. Ganz stolz, dass ich wieder ins Fitnessstudio gehe. Natürlich auch von dem Spruch, der mich beschäftigt: „Es gibt keine Wunder, es gibt nur Training.“ Ja, sagt sie da, wie aus der Pistole geschossen: Wahrscheinlich heißt es deshalb, man soll Liebe üben. Steht doch schon in der Bibel: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist – nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig vor Gott sein.“ (Mi 6,10)

Seither sitze ich auf dem Fahrrad im Fitnessstudio und denke darüber nach, in wie vielen anderen Bereichen das auch so ist: Es muss sich etwas ändern. Aber wenn nicht ein Wunder geschieht, dann wird wohl alles bleiben, wie es ist. Obwohl: Vielleicht müsste man bloß anfangen. Trainieren. Was probieren. Sich ein bisschen anstrengen – wer weiß, was dann möglich wäre.

Ist ja total einleuchtend. Wie oft warte ich darauf, dass sich etwas ändert. Dass die Nachbarn freundlicher sind und aufmerksamer. Dass die Stimmung am Arbeitsplatz weniger genervt ist. Dass eingeschlafene Freundschaften irgendwie wieder erwachen und aufblühen. Dass die Hilfe finden, um die sich anscheinend keiner kümmert. Da müsste doch endlich jemand etwas tun!

Im Grunde warte ich da überall auf Wunder. Und: es gibt Wunder – aber nur mit Training. Auch die Liebe muss man üben. Vielleicht warten die anderen auch schon längst auf so ein Wunder. Und wenn ich endlich ein paar freundliche Worte sage und mich erkundige – dann ist das für sie vielleicht eines. Wenn ich nicht immer besser weiß, was zu tun ist, sondern die anderen frage: Was können wir tun? Vielleicht kommt dann das Wunder, das alle erhofft haben.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24574
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