Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Dass ich keine Migrantin bin, ist Zufall. Und Glück. Solange ich lebe, musste man in West-Deutschland nicht seine Heimat verlassen und anderswo eine Lebenschance suchen. Viele Menschen im Osten Deutschlands und Europas haben das anders erlebt. Meine Eltern auch. Mein Vater ist nach dem Krieg aus Lodz gekommen und hier hängen geblieben, die anderen Großeltern meiner Kinder waren Flüchtlinge aus Pommern. Sie haben sich eine neue Existenz aufgebaut, das wohl. Aber so richtig zu Hause haben sie sich nicht gefühlt. Oft haben sie davon erzählt, wie schwer es war, in den ersten Jahren. Es hat 10 Jahre gedauert, bis sie aus den Flüchtlingsbaracken ausziehen konnten. Und für ihre neuen Nachbarn sind sie immer ein bisschen fremd geblieben. Dabei haben sie deutsch gesprochen und waren Deutsche. Bloß eben anderswo geboren. Weit weg.

 

Ich bin froh, dass ich das nicht erleben musste. Aber ich weiß: das war Zufall. Und Glück.

 

Wieviel schwerer muss diese Situation für die sein, die von noch viel weiter her gekommen sind. Eine andere Hautfarbe haben, eine andere Sprache, eine andere Religion. Menschen, die nicht da bleiben konnten, wo sie geboren und aufgewachsen sind. Irgendwie haben sie einfach Pech gehabt, dass in ihrem Land und in ihrer Zeit Krieg herrscht und Not. Sie können nichts dafür. Genau so wenig, wie ich dafür kann, dass ich nicht Flüchtling werden musste und nicht als Migrantin leben.

 

Ich finde, wir hier im wohlhabenden Mitteleuropa müssten uns das viel öfter klar machen. Denn es könnte ja auch ganz anders sein. Es ist Zufall und Glück, dass es uns so gut geht. Es kann auch anders werden. Was wäre dann? Manchmal fürchte ich: Ich könnte mich nicht so durchschlagen, wie die Generation meiner Eltern es musste. Wie gut, wenn man dann Hilfe findet, wenn man sie braucht.

 

Seit einiger Zeit beschäftigt mich das und seither kommt mir immer wieder ein Satz in den Sinn, den Jesus mal gesagt hat: „Genauso, wie ihr behandelt werden wollt, so behandelt auch die anderen“ (Matthäus 7, 12).

 

Ist das nicht eigentlich selbstverständlich? Nein, das ist es anscheinend nicht. Unsere Eltern damals nach dem Krieg haben erlebt wie das ist, wenn die Einheimischen sagen: Ich kann doch nichts dafür, dass ihr hergekommen seid. Ich habe genug mit mir selber zu tun. Ich kann mich nicht um „hergelaufene“ Flüchtlinge kümmern. Und ich fürchte, dass viele Migranten und Flüchtlinge das heute auch so erleben.

 

Wenn ich mal Hilfe brauche – ich hoffe, dass ich gut behandelt werde. Denn es ist eigentlich Zufall, ob jemand Einheimischer bleiben kann oder Flüchtling wird.

 

 

 

 

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