SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Wenn ich in diesen Sommertagen unsere Enkelkinder im Garten beim Spielen beobachte, muss ich immer wieder an ein Erlebnis vor ein paar Jahren denken:
Wir waren zu einer Familienfeier in unsrer alten Heimat, in Leipzig. Vieles hat sich dort so verändert, dass ich es kaum wiedererkenne. Wir waren schon auf dem Weg zurück nach Hause, an einem späten Sommernachmittag. Ich wusste gar nicht, so richtig, wo wir eigentlich langfuhren bis mir ein Waldstück auffiel, über dem die Sonne schon ziemlich tief stand.
Da müsste doch der Garten meiner Eltern gewesen sein. Etwas zögernd habe ich zugestimmt, am Waldrand abzubiegen und eh ich mich versah, stand ich vor einem überwucherten Gartenzaun. Die Bäume riesig und knorrig, das Gras wild hochgewachsen. Hier war wohl schon lange Zeit niemand mehr gewesen. Das Tor war offen und so habe ich mich ein paar Schritte hinein in diesen finsteren Garten gewagt. Wie verzaubert ist er mir vorgekommen...
Doch auf einmal erstrahlte alles im Sonnenlicht, die Bäume waren wieder jung und zwei Kinder tollten auf der Wiese herum. „Oma, Oma, darf ich diese Blume pflücken?", hab' ich Kinderstimmen gehört und dort am Häuschen hat meine Mutter mit ihrer Gartenschürze gestanden.

Nur einen kurzen Augenblick - hat diese so lebendige Erinnerung gedauert. Auch wenn mir ein paar Tränen in die Augen geschossen sind, dieses Erlebnis hat mich nicht mehr so wehmütig gemacht wie noch viele Jahre zuvor, als ich zuletzt an diesem Ort war. Da konnte ich mich nicht nähern, ohne zu weinen, dass diese herrliche Zeit, in der unsere Kinder mit den Großeltern hier ein kleines Paradies hatten, für alle Zeit vorbei ist. Der Garten gehörte fremden Leuten und meine Mutter war gestorben.

Dieses Mal bin ich zwar auch sehr berührt gewesen, aber vor allem hat mich ein zutiefst dankbares Gefühl erfasst. Ich habe am Gartenzaun sogar lächelnd müssen über so manche Erinnerungen. Wie froh wir sein können, das erlebt zu haben!  

Das Leben hat sich weiterentwickelt, wir alle haben uns weiterentwickelt und auch verändert. Es hat wieder schöne Zeiten gegeben, manchmal auch schwierige. Menschen haben uns verlassen, andere sind in unser Leben getreten. Bei Gedanken wie diesen kommt mir eine Bibelstelle in den Sinn. Sie hilft mir, dankbar zurückzublicken und Neues mit Freude anzugehen. Sie ist aus dem Buch Kohelet im Alten Testament:

„Alles hat seine Zeit - für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit, ... eine Zeit zum Pflanzen, eine Zeit zum Ernten, eine Zeit zum Suchen, eine Zeit zum Verlieren, ... eine Zeit zum Umarmen und eine Zeit, die Umarmung zu lösen...".

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24558
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