Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Beim Stöbern in der Buchhandlung habe ich ein Buch entdeckt. Es trägt den Titel Ein fauler Gott. Klar, dass ich das kaufen musste. Gott soll faul sein? Zu bequem, um zu tun für die Welt, die er gemacht hat. Oder gar schlecht und ungenießbar, wie ein alter Apfel? Es hat mich interessiert, was der Autor Stephan Lohse dazu sagt.

Das Buch handelt von einem Jungen, der gestorben ist, Jonas, acht Jahre alt. Sein elfjähriger Bruder Ben vermisst ihn und muss auf einmal mit seiner Mutter alleine zurechtkommen. Wie die beiden trauern, sich regelrecht beibringen, ohne Jonas weiterzuleben, das hat mich sehr beeindruckt. Ben macht sich viele Gedanken, so wie Heranwachsende das tun. Er stellt Fragen - wo sein kleiner Bruder ist und ob er selbst jetzt auch sterben muss. Er spricht aus, was er nicht versteht. Und er hört genau zu, was der Pfarrer bei der Beerdigung sagt.

Der Pfarrer zankt mit Gott und unterstellt ihm, dass er sich nicht für uns interessiert. Er sagt, dass er nicht die passenden Worte findet. Stattdessen liest er den 23. Psalm aus dem Alten Testament der Bibel vor: Der Herr ist mein Hirte ... dein Stecken und Stab trösten mich. Ben wundert sich, dass der Pfarrer das nicht auswendig kann. Als er dann noch behauptet, dass Jonas ihm fehlt, ärgert sich Ben sehr, schließlich hat er ihn gar nicht gekannt.

Ich frage mich: Ist es so? Hören Trauernde so die Worte des Pfarrers? Sprechen meine Kollegen und ich so - die immer gleichen Formeln, Worthülsen, Banalitäten? Und wirkt sogar noch das Nachdenken wie eine Show? Das wäre fatal.

Einer, der mitfühlend über den Tod spricht, erreicht die Menschen. Die Zuhörer spüren, ob das, was der Pfarrer sagt, ehrlich gemeint ist, oder ob ihm die Worte wie gedroschenes Stroh über die Lippen kommen.

Ben, der Bruder des gestorbenen Jonas, hat es offenbar so empfunden: Da ist was faul. Der Pfarrer tut nur so. Was er sagt und macht, ist nicht echt. Und ganz schnell überträgt er den Eindruck des Pfarrers auf Gott selbst. Was mit Gott zu tun hat, ist alles nicht echt. Gott ist auch: faul. Er interessiert sich nicht für seinen toten Bruder Jonas. Er will fertig werden, weil ihm das alles lästig und zu viel ist. Er will nichts mehr davon hören. Gott ist ganz weit weg.

Wenn das wahr wäre, müsste ich meinen Beruf sofort an den Nagel hängen. Dann wäre alles, was mir an Gott wichtig ist, falsch: dass er sich für jeden von uns interessiert, dass er mit uns leidet, dass er dem Tod die Macht über uns genommen hat.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24539
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