Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Es gibt gute Eigenschaften und schlechte, dachte ich zumindest bisher. Entschlossenheit ist gut, Zweifel sind schlecht. Selbstsicherheit ist auch gut, Ängstlichkeit dagegen schlecht. Aber so einfach ist das nicht. Das habe ich gemerkt, als neulich diese Sache mit unserem Hasen passiert ist.

Es war schon spät abends. Plötzlich hörte meine Frau ein furchtbares Geschrei hinter dem Haus. Gemeinsam liefen wir die Treppe hinunter um nachzusehen. Da saß unser Kaninchen starr vor Schreck auf dem Boden. Der kleine Kerl zitterte am ganzen Körper und um ihn herum lag ausgerissenes Fell auf dem Boden. Er hatte offensichtlich einen heftigen Kampf mit irgendeinem Raubtier hinter sich. Er hoppelt oft frei hinter dem Haus herum, und an diesem Tag hatten wir vergessen, ihn abends wieder in Stall zu bringen. Unser Kaninchen ist ein Einzelgänger, und wenn wir es streicheln wollen, versucht es uns meistens zu beißen, aber so ein Ende hatten wir ihm dann doch nicht gewünscht. Wir brachten das Tier sofort zur Tierärztin und waren dann sehr erleichtert über die Diagnose: Schock, eine Kralle verloren, aber sonst alles in Ordnung. Die Tierärztin meinte: Ein zahmeres Kaninchen hätte sich nicht so tapfer gewehrt, sondern sich in sein Schicksal ergeben.

Also ausgerechnet die Eigenschaft, die uns immer an unserem Hasen gestört hat, hat ihm jetzt das Leben gerettet. Vielleicht ist es doch nicht so einfach mit den guten und den schlechten Eigenschaften. Bei Tieren nicht und bei Menschen auch nicht.

Mir ist aufgefallen, dass Jesus Menschen mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften um sich gesammelt hat. Seine Jünger waren schon sehr verschieden. Trotzdem hat Jesus sie alle zu seinen Mitarbeitern gemacht, vielleicht gerade weil sie so unterschiedlich waren. Da gab es beispielsweise Petrus, der sehr entschlossen war und immer genau wusste was er wollte; ganz anders der Zweifler Thomas, der skeptisch war und alles hinterfragt hat. Es war gut, dass sie beide da waren. Manchmal Petrus, der eine Sache anpackte, damit sie nicht in Abwägungen und Diskussionen stecken blieb. Und manchmal Thomas, der kritische Fragen stellte, die andere sich nicht trauten und so den Dingen auf den Grund ging.

Es scheint also was dran zu sein: Es gibt nicht gute oder schlechte Eigenschaften an sich. Was in der einen Situation eine Schwäche ist, kann in der anderen eine Stärke sein und umgekehrt. Eigenschaften zu ändern ist sehr schwer. Aber man kann sie da einsetzen, wo sie eine Stärke sind. Aufgaben zu suchen, die zu mir und meinen Eigenschaften passen, das lohnt sich.
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