Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ich räume gern auf. Wirklich! Ich finde es schön, wenn das Chaos sich lichtet, wenn ich langsam den Überblick gewinne. Ich mag es, wenn sich frische Blumen auf dem Glastisch spiegeln können, weil da genug Platz ist und blank geputzt. Stimmt schon, dieser Zustand hält nie lange vor. Dann muss ich wieder anfangen aufzuräumen. Weil ich mich wohl fühle, wenn es aufgeräumt ist.

Deshalb hat mir sofort eingeleuchtet, was Meike Winnemuth vor einigen Monaten in einer Zeitschrift geschrieben hat. Ich kenne Frau Winnemuth gar nicht, sie ist Journalistin und ein paar Jahre jünger als ich. Aber was sie geschrieben hat, habe ich aufgehoben, nämlich: „Ich habe begonnen, aufzuräumen in meinem Leben.“ Wenn sie gehen muss, schreibt sie, soll es jedenfalls in dieser Hinsicht einfach sein für die Hinterbliebenen. „Aber wichtiger … ist“, stand da, „dass all die losen Fäden, abgebrochenen Konversationen, vernachlässigten Freundschaften, ungesagten Sätze, aus denen jedes Leben irgendwann besteht, jetzt repariert werden. Jeden Morgen schreibe ich derzeit eine Stunde lang Mails. An Leute, die lange nichts von mir gehört haben… ‚Wie schön‘ höre ich zurück, ‚Endlich mal wieder‘, und ‚Lass uns doch…‘. Es ist ganz leicht. Aber man muss es auch machen.“[1]

Der Artikel ist mir wieder eingefallen, als ich vor fast 14 Tagen vom Tod Helmut Kohls gehört habe. Heute wird er in Speyer beigesetzt. Zweifelsohne war er einer der größten und verdienstvollsten Politiker unseres Landes – auch wenn ich seine politischen Ansichten nicht immer teilen konnte. Aber nach allem, was ich nach seinem Tod gehört und gelesen habe, ist in seinem Leben auch vieles unaufgeräumt geblieben. Missverständnisse nicht aufgeklärt, Freundschaften zerbrochen, vieles abgebrochen. Vielleicht hätte er manches davon noch klären wollen. Aber irgendwann war es zu spät. Nach einem schweren Sturz konnte er es nicht mehr. Trotz seiner großen Verdienste wirkte er auf mich in den letzten Jahren verbittert und einsam. Möge Gott jetzt richten, was ungeklärt geblieben ist, damit Helmut Kohl in Frieden ruhen kann.

Für mich habe ich mir vorgenommen, in meinem Leben aufzuräumen. Rechtzeitig. Manches habe ich schon längst getan: Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung. Aber vieles andere liegt noch unaufgeräumt da. Da habe ich mich bisher gedrückt. Jetzt will ich damit anfangen. Ich glaube, das wird gar nicht traurig. Sondern sehr beglückend. Und was ich nicht hinkriege? Ich vertraue auf Gottes Gnade, der es für mich richten und mich aufrichten wird.


 

[1] Stern, 8.12.16, S. 136)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24481
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