Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Kränkungen können einen krank machen. Dauerhaft. Körperlich, vor allem aber seelisch. Wer im Stich gelassen wurde von Menschen, denen er vertraut hat, wer zu Unrecht beschuldigt wurde oder gekündigt, wer Mobbing erdulden musste, der ist tief verletzt, gekränkt, und manchmal so verbittert, dass er auf Rache sinnt. „Denen werde ich es zeigen, die werden schon sehen, was sie davon haben!“ Bei manchen Menschen entsteht so eine tiefgreifende psychische Störung, die Psychologen nennen sie „posttraumatische Verbitterungsstörung“.

Das Wort ist ziemlich neu – die Sache aber alt. Schon die Bibel erzählt von den schlimmen Folgen so einer Verbitterungsstörung. Gleich nach der Schöpfungsgeschichte wird von Kain und Abel erzählt, den ungleichen Brüdern (1. Mose 4). Abel der Viehhirte und Kain, der Ackerbauer. Wie damals üblich brachten sie am Ende des Wirtschaftsjahres ein Dankopfer. Sie ließen von den Früchten ihrer Arbeit etwas in Rauch aufgehen, damit es zum Himmel steigen sollte. Aber nur Abels Opfer stieg nach oben – Kains nicht. Gott, so schien es ihm, wollte sein Opfer nicht. In der Bibel steht: „Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick“ – Kain war tief gekränkt. Und in seiner Wut erschlägt er Abel, seinen Bruder. Der erste Brudermord der Geschichte  - gewachsen aus einer Kränkung.

Wenn es auch – Gott sei Dank - nicht immer gleich ein Mord ist: Solche Geschichten, wo es eine oder einer -tief gekränkt- dem anderen heimzahlt. solche Geschichten gibt es bis heute.

Und nicht bloß bei einzelnen, sondern auch bei Völkern und Volksgruppen: Altbundespräsident Gauck hat das in einer Rede in Tübingen im Mai aufgezählt: "Muslime fühlen sich von der westlichen Welt gedemütigt, Griechen, Polen und andere Europäer von Deutschen gegängelt, ehemalige Kolonialstaaten von den einstigen Herren im Stich gelassen, Ostdeutsche gegenüber Westdeutschen benachteiligt, weiße Amerikaner von Minderheiten oder Eliten im eigenen Land unter Druck gesetzt, Männer von emanzipierten Frauen entwertet und so weiter und so weiter und so weiter."[1]

Was kann man tun, damit Menschen ihre Kränkungen nicht mit Gewalt bewältigen müssen? In Südafrika zB versucht man es mit Gesprächen. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission der Regierung bringt Opfer und Täter aus der Zeit der Apartheid miteinander ins Gespräch. Nicht immer, aber oft wird so Vergebung möglich und Versöhnung.

Mir scheint: das ist der einzige Weg, auch unter einzelnen Menschen. Damit aus einer Kränkung nicht Verbitterung entsteht und Gewalt muss man miteinander reden. Aufdecken was war. Den jeweils anderen zu verstehen versuchen. Um Verzeihung bitten und verzeihen.


 

[1] Man kann die Rede Gaucks nachhören in der ARD-Mediathek 
http://www.ardmediathek.de/radio/Kulturfragen/Altbundespr%C3%A4sident-Gauck-%C3%BCber-Kr%C3%A4nkung-/Deutschlandfunk/Audio-Podcast?bcastId=21676454&documentId=42995328

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24479
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