Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Vor kurzem wurde ich bei einer Predigt meines Bischofs Dr. Matthias Ring auf einen Perspektivwechsel in einem biblischen Text aufmerksam. Er hat mir diesen Text von einer ganz neuen Seite gezeigt.

Es geht um den Text des barmherzigen Vaters aus dem 15. Kapitel des Lukasevangeliums. Er wird auch die Geschichte vom verlorenen Sohn genannt.

Ein Vater hat zwei Söhne. Der jüngere Sohn hat sich das Erbteil auszahlen lassen und ist fortgezogen. Als er kein Geld mehr hat, entscheidet er sich, zum Vater zurückzukehren. Er bittet darum, eine Anstellung zu bekommen. Der Vater aber freut sich, dass sein Sohn gesund nach Hause gekommen ist. Er lässt das Mastkalb schlachten und feiert ein großes Fest mit dem verlorenen Sohn.

Der ältere Sohn, der jeden Tag zu Hause gearbeitet hat, will nicht mitfeiern. Er hat ja die ganze Zeit seine Pflichten erfüllt, ist jetzt eifersüchtig, dass mit dem jungen Hallodri gefeiert wird, er aber nie etwas zum Feiern bekommen hat.  Dabei hat er doch alles richtig gemacht. So zumindest die landläufige Deutung.

Wenn man die Perspektive zum älteren Sohn wechselt und alles aus seinem Blickwinkel betrachtet, stellt man fest, dass der Vater zu ihm sagt: Alles was mein ist, ist auch dein. Die Erkenntnis stellt sich beim älteren Sohn ein: Es war immer alles schon da. Ich hätte es mir einfach nehmen können, um mit meinen Freunden ein Fest zu feiern. Vielleicht hätte er sich auch gewünscht, mal was ganz anderes zu tun, wie sein jüngerer Bruder.

Und wurde mir bewusst, dass dieser ältere Sohn auch irgendwie verloren ist, nur auf eine andere Art. Verloren in all seinen Pflichten sieht er nicht mehr, was direkt vor ihm zum Greifen nah ist. Er braucht genauso die Hilfe und das gute Wort des Vaters, um sich selbst wiederzufinden.

Und plötzlich verstehe ich ihn noch viel besser.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24367
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