SWR1 3vor8

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Für mehr Menschlichkeit – Matthäus 5,1-12a

Das ist schon eine Provokation. Da preist Gott Arme und Trauernde glücklich, Menschen, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten. So steht es in der „Bergpredigt“ Jesu im Matthäus Evangelium. Was für ein Hohn auf die unzähligen Leidenden, wäre da nicht immer der Nachsatz mit dem Versprechen, dass alles gut und heil und neu wird. Trauernde glücklich preisen ist dann nicht zynisch, wenn sie hoffen können, dass sie nicht ver-tröstet werden, sondern ge-tröstet. Dem nicht genug: Gott lässt uns wissen: Was du einem der Geringsten auf dieser Erde Gutes getan hast, das hast du mir getan. (Matthäus 25,31-40) Es genügt Gott anscheinend nicht zu sagen: Ich kümmere mich um diese Menschen. Er geht noch weiter: Ich bin der Hungernde, der Nackte, der Kranke in Person. Gott identifiziert sich mit den Leidenden. Das ist unglaublich, das ist revolutionär. Dass Gott so ist, das erfahren wir von Jesus. Und er sagt das nicht nur, er lebt das vor. Und dann gibt es Leute, Jugendliche, Frauen und Männer, bekannte und unbekannte. Die haben etwas von dieser Botschaft an irgendeinem Punkt in ihrem Leben begriffen. Sie haben Ernst damit gemacht und versucht, im Sinne Jesu zu leben. Katholiken und Orthodoxe nennen sie Heilige. Evangelische sagen: exemplarische Christen, Vorbilder. Elisabeth von Thüringen und Franz von Assisi, Mutter Teresa und Frère Roger. Heute ist ihr aller Gedenktag: Allerheiligen. Heilige sind für mich ganz normale Menschen. Wie wir mussten sie auf staubigen Straßen ihren Weg durchs Leben gehen, ohne Abkürzungen, ohne Schleichpfade. Heilige sind Menschen, die sich längst nicht immer fest mit Gott verbunden fühlten. Sie hatten wie viele ihre Glaubenszweifel. Gott schien ihnen über längere Strecken sehr fern, weit weg zu sein. Der erschütternde Bericht von Mutter Teresa über solche Erfahrungen macht mich betroffen. In einer Tagebuchnotiz hält sie fest: „Da ist nichts mehr, wohin ich mich wenden könnte: kein Gott, kein Vater, kein Hirte und kein Gegenüber; nur diese erschreckende Leere.“ (In: Komm, sei mein Licht, Pattloch Verlag München 2007) Allerheiligen ist für mich kein Fest der toten Helden, keine Leistungsschau der religiösen Elite. Heilige sind für mich Menschen, die bei Gott sind und die sich auf Erden bemüht haben, die Welt etwas menschlicher und leidfreier zu machen. Die Heiligen machen mir die bunte Vielfalt an Lebensweisen und Lebensmöglichkeiten deutlich, in denen die Botschaft Jesu verwirklicht werden kann. Und ich glaube, solche Vorbilder brauchen wir dringend. https://www.kirche-im-swr.de/?m=2424
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