Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Täglich sterben mehr als 24.000 Menschen auf der Erde, weil sie nicht genügend zu essen haben. Auch heute wieder. Bundesaußenminister Gabriel hat das in der vergangenen Woche hautnah erlebt. Als er Somalia besuchte. Das Land im mittleren Afrika leidet besonders unter einer lang anhaltenden Dürre. Wieder einmal. Erst 2011 gab es eine katastrophale Hungersnot. Aktuell sind dort mehr als sechs Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die hat Gabriel zugesagt. Deutschland will seine finanzielle Unterstützung verdoppeln. Allerdings wird das nicht genügen, um Chaos und Terror in Somalia zu beseitigen.
Unser täglich Brot gib uns heute. Die Konfrontation dieser Bitte mit dem Hunger in Somalia ist hart. Ich weiß. Aber sie ist notwendig, um zu verstehen, welche Sprengkraft im Vaterunser steckt. Als Christ kennt man den Text. Er geht einem automatisch über die Lippen. Unser tägliches Brot gib uns heute. Wer genug zu essen hat, muss erst verstehen lernen, worin die Herausforderung dieser Vaterunser-Bitte besteht. Das Vaterunser ist kein Privatgebet. Es genügt nicht, es zu beten und dabei nur an sich selbst zu denken. Jeder einzelne Mensch spricht die Worte mit dem gleichen Recht. Es herrscht vollkommene Gleichheit. Ich finde, das ist eine ziemliche radikale Angelegenheit, die ich sonst fast nirgends erlebe. Sonst gibt es überall Unterschiede. Wir stammen aus unterschiedlichen Ländern und Kontinenten. Die einen haben mehr als genug zu essen, andere leben am Existenzminimum. Und manche verhungern.
Genau diese Unterschiede, die wir so selbstverständlich hinnehmen, genau die gibt es bei Gott nicht. Gott ist jeder Mensch gleich lieb. Hier wird es spannend. Denn diese Behauptung der Bibel hört sich zwar nett an. Aber die Folgen, die sich daraus ergeben, sind dermaßen enorm, dass wir eigentlich die Luft anhalten müssten. Wenn jedem Menschen das tägliche Brot gehört, dann bleibt kein Stein auf dem anderen. Das wirft die Ordnung über den Haufen, in der sich die Menschheit eingerichtet hat. Wenn jedem mit gleichem Recht das Gleiche zusteht, dann lässt mich die Katastrophe in Somalia nicht kalt. Dann muss sich etwas ändern, und ich muss etwas ändern. Dann kann ich das Vaterunser nicht mehr so beten wie ich es gewohnt bin. Weil die Bitte ums tägliche Brot sonst zur Lüge wird.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24185
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