Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Heute ist der neunzehntausendzweihundertsiebenundachtzigste Tag meines Lebens. Keine Sorge: Ich habe das nicht von Hand ausgerechnet. Und es ist mir auch nicht wichtig, das auf den Tag genau zu wissen. Ich bin lediglich über eine Seite im Internet gestolpert, wo man sich das blitzschnell ausrechnen lassen kann. Das fand ich witzig. Aber dann war ich doch erstaunt, was da für eine Zahl heraus gekommen ist. An die 19.000: Das sind ja gar nicht so viele. Ich hatte angenommen, es müssten mehr sein. So viel, wie ich schon erlebt habe, so lange, wie mir das alles vorkommt - diese zweiundfünfzig Jahre meines Lebens.

Ich habe eine ganze Weile darüber nachgedacht, was das bedeutet. Wie viel Wert mein Leben hat, überhaupt das Leben eines einzelnen Menschen. Ob es sein kann, dass ich mich manchmal zu wichtig nehme, überschätze, welche Bedeutung ich habe. Und ob ich mit meinen Tagen leichtsinnig umgehe, wenn es doch gar nicht so viele sind und auch nicht so viele sein werden in der Summe. Verplempere ich meine Zeit und damit mein Leben ein Stück weit? Müsste ich sorgsamer überlegen, was ich mit jedem einzelnen der Tage anfange?

Die Bibel kennt dazu einen passenden Spruch: Unsere Tage zu zählen, lehre uns, dann gewinnen wir ein weises Herz.[1] Ich habe diesen Vers aus Psalm 90 manchmal bei Beerdigungen benützt und auch manche Trauerpredigt darüber gehalten. Aber hier fiel mir auf, dass dieser Satz den Lebenden gilt, dass er etwas dazu zu sagen hat, wie ich mit meiner Zeit umgehe. Die Tage meines Lebens können gezählt werden. Das heißt: Sie sind endlich. Irgendwann kommt der letzte Tag. Und - gottlob - ich weiß nicht, wann das sein wird. Dementsprechend ist jeder Tag davor einzigartig und kostbar. Einer mehr oder weniger - die Zahl an sich ist nicht so bedeutsam. Aber das Zählen! Ich denke, es ist damit gemeint, dass ich vorsichtig sein soll, mit meinem Leben und mit dem der anderen. Ich soll jeden einzelnen Tag für kostbar halten; so dass es sich lohnt ihn zu zählen. Und in das Leben eines anderen nie so eingreifen, dass er sich am Abend wünscht, diesen Tag besser zu vergessen, ihn aus seiner Zählung zu streichen.

Manchmal sagen wir von alten Menschen, dass sie weise sind. Und haben die Hoffnung, von ihrer Weisheit zu profitieren, weil sich in der Summe ihrer Tage viele befinden, die kostbar sind. Das ist ein schönes Ziel, finde ich.



[1] Ps 90,12

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24182
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