Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Das könnte mir nie passieren. Manchmal denke ich das, wenn ich von den Fehlern höre, die andere machen. Eine Frage, von der die Bibel erzählt, macht mich da unsicher. „Bin ich es?“ (Mt 26,22) – fragen die Jünger Jesus, als sie mit ihm am Tisch sitzen. Jesus hatte seinen Jüngern gerade gesagt, dass einer von ihnen ihn verraten wird. Und das Ver­blüf­fende: keiner der Jünger wehrt ab, keiner beteuert, dass er das auf keinen Fall sein könnte.

Nicht der Lieblingsjünger von Jesus, der bei Tisch immer neben ihm sitzen durfte. Nicht Johannes und Jakobus, die Jesus mit in den Garten Gethsemane nehmen wird, um mit ihm zu wachen und zu beten. Nicht Petrus, der sich doch sonst immer für den Vorzeigejünger hält. Alle fragen sie: „Bin ich es?“ Ob sie alle tatsächlich angefangen haben, an sich zu zweifeln? Hat es tatsächlich jeder der Zwölf für möglich gehalten, dass er es ist, der Jesus verraten wird? Für mich ist die Geschichte des letzten Abendmahls eine Geschichte über uns Menschen. Darüber, wie wir sind – jeder von uns.

In meiner Konfirmandengruppe hatten wir letzte Woche Besuch: von einem Mann, der straffällig geworden ist. In einem Moment des Blackouts hat er einen Menschen schwer verletzt. Er weiß, dass er schuldig geworden ist und er übernimmt dafür die Verantwortung. Er redet sich nicht heraus, er versucht seine Tat nicht zu erklären oder die Schuld auf andere zu schieben. Er steht zu seiner Schuld. Und er will jungen Menschen davon zu erzählen, wie schnell es gehen kann: Plötzlich machen die schlechten Gefühle, die in jedem von uns schlummern, das ganze Leben kaputt.

Nie könnte ich so etwas machen, hätte dieser Mann vor seiner Tat gesagt. „Ich bin es auf jeden Fall nicht“ – hätte er als Jünger wahrscheinlich zu Jesus gesagt. Aber Jesus hätte ihm das nicht abgenommen. Denn Jesus weiß, dass hilflose Wut, wütende Verzweiflung, Neid oder Hass einen Menschen überfallen können. Und dass es niemandem gelingt, ohne Schuld durchs Leben zu gehen. Jesus ist gekommen, um uns zu sagen, dass Gott uns trotzdem nicht fallen lässt. Deshalb hat er mit allen gegessen und getrunken. Auch mit dem, der ihn später wirklich verraten hat.
Mir sagt das: Meine Fehler trennen mich nicht von Gott. Er hält trotzdem zu mir. Wenn ich im Gottesdienst Abendmahl feiere, erinnere ich mich daran. Und das tut mir gut.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23957
weiterlesen...