SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Teil 1

Auf meinem Schreibtisch liegt seit Jahren ein kleiner, unscheinbarer Stein, der für mich aber einen unschätzbaren Wert hat. Nicht materiell gesehen. Auf den ersten Blick ist er ganz gewöhnlich und wäre (unter normalen Umständen) schon längst entsorgt worden. Der Stein ist ein kleines Stück der Mauer, die  lange Zeit Berlin geteilt und viele menschliche Beziehungen zerrissen hat. Er erinnert mich an eine leidvolle Geschichte und hält mir vor Augen, wie Menschen verachtend und verletzend solche Mauern sein können.

Dass der Stein auf meinem Schreibtisch liegt, bedeutet aber noch etwas: Die Mauer ist gefallen. 1989 gab’s eine große Wende in unserem Land. Auch wenn es viel Zeit braucht,  bis die Mauern und Barrieren in den Köpfen und in den Herzen der Menschen gefallen sind. Der Weg zu einem vereinten und gemeinsamen Leben in Deutschland ist frei. Es wächst wirklich zusammen, was zusammen gehört.

So einen Weg wünsche ich auch den christlichen Kirchen in unserem Land. Seit der Reformation gibt es eine fünfhundertjährige Geschichte von Spaltung und Trennung. Das hat für viele Menschen unvorstellbares Leid und tiefe Verletzungen mit sich gebracht. Die verschiedenen Kirchen  haben sich Gott sei Dank längst schon auf den Weg gemacht, diese Trennung zu überwinden. Sie spüren gerade in diesem Jahr des großen Reformationsgedenkens, dass man die gegenseitigen Verwünschungen und Verletzungen nicht bloß vergessen und unter einen Teppich kehren kann.

Deshalb kommen an diesem Wochenende offizielle Vertreter der christlichen Kirchen  und viele Gemeinden zusammen. Sie stellen sich ausdrücklich diesem schmerzlichen und doch heilsamen Prozess. Sie beschreiten gemeinsam einen Weg der Buße und Umkehr. Und machen öffentlich, dass die Kirchen versagt haben Sie haben Schuld auf sich geladen und sind der ursprünglichen Einheit untreu geworden sind.

Miteinander die Wahrheit anschauen; vom eigene Versagen sich erschüttern lassen; einander in die Augen schauen und sich vergeben; ich glaube, es gibt keinen anderen Weg, wie Erinnerungen heil werden und Mauern zwischen Menschen fallen können. Auch hier gilt die tiefe jüdische Überzeugung: “Vergessen hält die Erlösung auf, Erinnern bringt sie voran.

Teil 2 

Vergessen hält die Erlösung auf, Erinnern bringt sie voran. Ich spreche heute in den Sonntagsgedanken über Wege der Versöhnung, die die christlichen Kirchen in diesen Tagen gemeinsam beschreiten. Über Jahrhunderte haben sie sich auseinander bewegt. Anderen den rechten Glauben abgesprochen und stur die eigene Rechtgläubigkeit behauptet. Sie haben sich voneinander abgeschirmt. Bibellesen war für Katholiken verpönt und die Evangelischen beargwöhnten den katholischen Bilderreichtum.

Wie haben sie sich das Leben schwer gemacht! Nicht der Mensch war wichtig, sondern das rechte Gesangbuch; nicht das Christsein, sondern das rechte Bekenntnis. Man hat sich gegenseitig verteufelt und die Spaltung ging tief zwischen Familien und Nachbarschaften, zwischen Ortschaften und Städte. Und nicht selten wurden aus den Spannungen blutige Glaubenskriege.

Und viele haben mitgespielt: Päpste und Pröpste, Lehrer und Leiter, Pastoren und Pfarrer, Väter und Mütter, Kollegen und Vorgesetzte. Heute tut es weh, einander daran zu erinnern. Erst recht, wenn’s immer noch geschieht. Darum ist es ein wichtiger Schritt, sich dieser Erinnerung zu stellen, einmal auszusprechen, was sich tief in die Seelen eingraviert hat. Wir Christen sind aneinander schuldig geworden. 

Auch wenn sich in den letzten Jahren viel getan hat-wir sind noch nicht beieinander. Wir sind die eine Kirche Gottes in immer noch getrennten Menschen-Kirchen. Aber wenn es heute den Verantwortlichen wirklich ernst ist, dann erhoffe ich von den Begegnungen an diesem Wochenende einen neuen Impuls. Dass wir über alle Verschiedenheiten hinweg miteinander staunen, beten,essen und lachen, dass wir einander zeigen können, was wir an unserem Glauben lieben und schätzen und dass wir vor allem achten, was den anderen an ihrem Glauben wichtig und wertvoll ist. 

Ich freue mich, dass ich aus der Begegnung mit evangelischen Christen für meinen Glauben ungeheuer viel geschenkt bekomme. Sie zeigen mir wie wertvoll die Botschaft des Evangeliums ist. Sie nehmen mir den Druck, mich selber vor Gott ins rechte Licht setzen zu müssen. Und ihre wunderbaren Lieder und Choräle singen von einem Gott, der alles im Innersten zusammenhält. 

Wir können froh sein, dass die Kampflieder gegeneinander verstummt sind. Dass wir nichts von unserer leidvollen Geschichte vergessen und verdrängen müssen. Wir können froh und dankbar sein, dass wir uns gegenseitig um Vergebung bitten können. Gerade weil wir an einen Gott glauben, dessen Friede größer ist als alle menschliche Vernunft.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23837
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