SWR1 3vor8

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Achter Sonntag im Jahreskreis A (Jes 49,14.)

IManchmal ist mit einem einzigen Satz alles gesagt. Mit so einem wie: „Ich liebe dich.“ Er muss aber immer ernst gemeint sein, nicht bloß so dahin gesagt. Er muss den, dem er gilt, völlig treffen, mitten ins Herz. Im katholischen Gottesdienst an diesem Sonntag gibt es so einen Satz. Er stammt aus dem Buch des Propheten Jesaja und lautet: Ich vergesse dich nicht - Spruch des Herrn. (Jesaja 49,15) Wegen dieses Anhängsels wird der Satz ein bisschen kompliziert. Es ist kein Satz, der von Mensch zu Mensch gesprochen wird, sondern Gott sagt ihn.

Gott spricht ihn zum Volk Israel, seinem erwählten Volk. Und zwar in einer extrem schwierigen Situation. Den Menschen von Israel geht es schlecht. Sie sind nicht in ihrer Heimat, sondern von der benachbarten Großmacht überfallen, besetzt und in die Fremde verschleppt worden: nach Babylon. Dort sitzen sie seit dreißig, vierzig Jahren und überlegen, warum ihnen das passiert ist und was es bedeutet. Zuletzt kommen sie zu dem Schluss - und so steht’s wieder wörtlich bei Jesaja: Der Herr hat mich verlassen, Gott hat mich vergessen. Eine ganz normale, völlig verständliche Reaktion. Wenn alles schlecht läuft, über lange Zeit hinweg, wenn’s kein Licht am Ende des Tunnels gibt, dann verzweifelt man langsam aber sicher.

Für mich passt dazu eine Begebenheit. Sie liegt schon über ein Jahr zurück, aber ich konnte sie bis heute nicht vergessen. Als ich nach einem Krankenbesuch die Klinik verlassen habe, waren da zwei Jungs, die auf einer Bank saßen und geraucht haben; so vierzehn, fünfzehn Jahre alt werden sie gewesen sein. Einer davon hatte eine Stange dabei, an der eine Infusion aufgehängt war. Erst bin ich vorbei gelaufen. Aber das Bild hat mich so irritiert, dass ich umgekehrt bin, und sie angesprochen habe: Offenbar krank, und so jung, und rauchen... Warum? Was soll das? Am Ende unseres kurzen Gesprächs habe ich mehr gewusst: Der mit der Infusion hatte Leukämie, und er hatte resigniert: keine Hoffnung auf Heilung, keine Perspektive für sein junges Leben. Ich habe mich geschämt, weil mir augenblicklich meine klugen Ratschläge so sinnlos vorgekommen sind. Und ich habe eine große Leere in mir gespürt. Ja, auch eine Gottverlassenheit. Das war ganz schlimm für mich. Da ist ein Mensch, der sein ganzes Leben noch vor sich haben sollte. Und ich würde gern etwas dazu beitragen, dass er das kann. Aber ich kann nicht. Ich kann nichts tun. Und Gott, mein Gott, an den ich glaube, dem ich alles zutraue: Tut der wirklich auch nichts für den Jungen? Das kann ich mir nicht vorstellen. Der Gott, von dem die Bibel erzählt, dem kann das nicht gleichgültig sein. Dafür steht dieser eine Satz des Jesaja:  Ich vergesse dich nicht. Er ist mir bis heute in solchen Situationen ein Trost.

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