Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Wer in der Hölle war, weiß, dass es zum Guten keine Alternative gibt.“ Der Mann, der das sagt, strahlt viel Gutes aus. Seine Augen leuchten warm und freundlich. Sein Lächeln ist sanft. Nach allem, was er erlebt hat, ist das nicht selbstverständlich. Jehuda Bacon ist einer der letzten Überlebenden von Auschwitz und als einziger aus seiner Familie lebend den deutschen Konzentrationslagern entkommen. Begegnet bin ich ihm vor 11 Jahren in Jerusalem. Letztes Jahr ist ein Buch über das Leben von Jehuda Bacon erschienen. Mein Sohn hat es mir zu Weihnachten geschenkt. Das Buch in Händen habe ich gespürt, wie sehr mich diese eine Begegnung geprägt hat. Selten hat mich ein Mensch mehr beeindruckt. Er hat Entsetzliches erlebt ohne daran zu zerbrechen, ohne bitter zu werden und sich im Hass zu verstricken. 

Jehuda Bacon hat damals geholfen, dass er künstlerisch begabt ist. Er hat sehr viel gemalt und gezeichnet. Auch in Auschwitz. Er sagt selbst: “Ich weiß nicht, ob ich diese Zeit überwunden hätte, wenn ich nicht gezeichnet hätte. Denn viele sind daran zugrunde gegangen, weil sie mit niemandem reden konnten. Ich hatte wenigstens das Glück, mit mir auf Papier zu reden.“ Jehuda Bacon hat nach der Befreiung auch daran gedacht, Rache zu nehmen. Als er in seine Heimatstadt Mährisch-Ostrau zurückkam, sah er plötzlich ältere Deutsche, die Schnee schaufeln mussten. Er erinnerte sich, dass sein Vater das Gleiche tun musste und dabei geschlagen wurde, während er als sein Sohn dieser Demütigung zuschauen musste. Jehuda Bacon erzählt: „Im ersten Moment dachte ich: Wenn ich jetzt einen Stein auf diese Männer werfe, kann mir niemand etwas anhaben. Das ist Rache. Aber dann dachte ich weiter: Vielleicht sind sie unschuldig, außerdem wird die Asche meines Vaters nicht wieder lebendig. Und wenn ich weiterhasse, hat Hitler gewonnen, weil ich dann so bin wie er. Davon wollte ich mich befreien.“

Das ist Jehuda Bacon gelungen. Auch deshalb, weil er in Mährisch Ostrau einen Lehrer hatte, der ihm gesagt hat: Es gibt in jedem Menschen einen unauslöschlichen göttlichen Funken. Auch in jedem Verbrecher.

Jehuda Bacon, Manfred Lütz: Solange wir leben, müssen wir uns entscheiden.“, Gütersloher Verlagshaus 2016

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