Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Auf manchen historischen Marktplätzen kann man ihn heute noch bestaunen: den mittelalterlichen Pranger. Dort wurden wirkliche oder auch nur vermeintliche Missetäter und vor allem Missetäterinnen – halbnackt und kahlgeschoren – an Halseisen angekettet oder in Käfigen öffentlich zur Schau gestellt. Wer einmal – schuldig oder nicht – am Pranger stand, war für sein ganzes Leben gezeichnet. 

Finsteres Mittelalter? Ach wo – die Prangersäulen von heute verbergen sich gut getarnt in den „Sozialen Netzwerken“. Unter dem Schutz der Anonymität kann man dort nach Herzenslust Andersdenkende vor aller Welt beleidigen, verleumden, mit „shitstorms“ überziehen und sogar mit dem Tod bedrohen. Dabei unerkannt zu bleiben, ruft alle Feiglinge auf den Plan, die eine offene, sachliche Auseinandersetzung scheuen. Doch auch jene, die sich namentlich outen, lassen Dampf ab in einer Manier, die das Mittelalter beschämt. 

Es wird höchste Zeit, die feinen Plattformbetreiber mit empfindlichen Bußgeldern zu belegen, wenn sie Hassbotschaften, Verleumdungen, unwahre Behauptungen und Morddrohungen nicht umgehend löschen. Auch die Verfasser dürfen nicht ungeschoren davonkommen: Sie müssen identifiziert und strafrechtlich verfolgt werden. Wo leben wir denn? Das Internet ist doch kein rechtsfreier Raum! 

Dass Menschen einander schamlos fertig machen, ist nicht neu! Verzweifelt schreit ein Psalmist im Alten Testament der Bibel: „Du Betrüger! Du planst mein Verderben; Deine Zunge ist wie ein scharfes Schermesser!“ (Psalm 52,4). Ein anderer fleht zu Gott: „Herr, rette mein Leben vor den Lügenmäulern und vor falschen Zungen“ (Psalm 120,2). 

Wer im Internet plötzlich am Pranger steht, fühlt sich oft zu schwach, um sich wirklich zu wehren. Da sind die Anständigen in der „Netzgemeinde“ gefordert. Sie können zurechtrücken, versachlichen und sich schützend an die Seite der Angegriffenen stellen. Den Schreiberlingen kann man dabei signalisieren, wie abscheulich und widerlich das daherkommt, was sie absondern. 

Vielleicht kapiert der eine oder andere dann doch, dass Hass auf Dauer auch die eigene Seele zerfrisst und nur die Liebe unser Leben lebenswert macht. Wenn  diese Latte für manche zu hoch liegt, käme vielleicht ein „Win-Win-Geschäft“ in Betracht. Die Formel kennt jedes Kind: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu!“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23251
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