Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Ich war in meinen Sommerferien in der Bretagne. Zum ersten Mal habe ich bewusst Ebbe und Flut erlebt. Habe gesehen, wie Mondzyklus und Wasserstand zusammenhängen. Je voller der Mond, desto höher das Wasser. Nimmt der Mond ab, geht auch das Wasser stärker zurück. Ich habe mir versucht vorzustellen, wie viel Wasser sich da jeden Tag bewegt. Wie viele Liter ständig kommen und gehen. Unvorstellbar. Faszinierend. Ich war berührt von der geheimnisvollen Ordnung der Schöpfung.

Beeindruckend auch, wie sich die Landschaft verändert. Dort wo bei Flut fröhlich die Segelboote und Fischerkähne im Wasser schaukeln, ist bei Ebbe davon nichts mehr zu sehen. Sie liegen regungslos auf dem Meeresgrund, der jetzt völlig abgetrocknet ist. So als hätten sie noch nie Wasser gesehen. Es riecht dann noch intensiver nach Meer. Bisweilen richtig streng so dass man kaum bleiben mag. Man muss sich als Urlauber erst daran gewöhnen mit dem Tidenkalender zu leben. Man kann nicht einfach losziehen und baden gehen wollen. Man muss wissen, wann das Wasser wo ist.

Die Küstenlandschaft, die sich ständig verändert, gehört zu meinen stärksten Eindrücken dieses Sommers. Manche Urlauber finden die Landschaft bei Ebbe hässlich. Interessant war ein Gespräch mit der Vermieterin unseres Ferienhäuschens. Das konnte sie einfach nicht verstehen. Die Landschaft sei anders, ja. Aber nicht hässlich. Es komme bei Ebbe etwas zum Vorschein, was sonst unsichtbar sei. Und es entstünden neue Perspektiven. Das sei doch ein wunderbares Bild für das Leben. Es gehöre eben alles dazu. Jede Perspektive. Alles Sichtbare und Unsichtbare. Das Leben sei ein ewiges Kommen und Gehen. Ebbe und Flut ein Bild für Geburt und Tod. Für Wachsen und Welken.

Ich finde, die Frau hat Recht. Die Natur ist eine kluge Lehrerin. Mit dem Wechsel der Jahreszeiten ist es ja ähnlich. Den Sommer würden viele gerne festhalten. Auf den November lieber verzichten. Auch die Jahreszeiten sind ein wunderbares Bild für das Leben. Es gehört alles dazu. Nebel und strahlend klare Tage. Jede Perspektive. Alles Sichtbare und Unsichtbare.

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