Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ich kenne zwei junge Frauen, die haben beide eine chronische Krankheit. Sie haben mir erzählt, dass sie manchmal die gut gemeinten Worte anderer Leute fast nicht mehr ertragen können. 
Wie oft haben sie das schon gehört: „Deine Krankheit hat dich unheimlich reif gemacht für dein Alter. Ich bewundere dich. Du bist so ein tapferer Mensch! Und immer so positiv!“.

Von wegen, immer positiv. Sie haben eine Wut auf ihre Krankheit. Sie finden es einfach „Scheiße“, dass sie krank sind und sie können nichts, aber auch gar nichts positiv daran finden. Und diese ermutigenden Sätze von deren Leuten haben sie auch satt.

Sie sagen: Die können sich doch gar nicht vorstellen, wie es ist, immer krank zu sein. Und auf vieles verzichten zu müssen, was andere junge Leute so selbstverständlich machen können. Abends weggehen zum Beispiel und die Nacht durchfeiern. Eine anstrengende Sportart ausüben. Alleine verreisen, in fremde Länder. Der eigene Körper könnte einem ja immer einen Strich durch die Rechnung machen. Was soll daran bitte positiv sein, seine Zeit in Arztpraxen und Kliniken und bei Therapeuten zu verbringen und sich in der Freizeit dann noch mit den Nebenwirkungen von Medikamenten rumschlagen zu müssen?

Ein Glück, dass die beiden sich kennengelernt haben, finde ich. Und dass sie sich erzählen können, wie ihnen die gutgemeinten Worte manchmal auf die Nerven gehen. Weil man eben nicht immer positiv sein kann und auch nicht immer positiv sein will. Sondern auch hilflos ist und deprimiert oder manchmal eben auch wütend und ungehalten.

Eine der beiden sagt: „Ich habe manchmal das Gefühl, meine Wut halten die anderen noch schlechter aus als meine Krankheit. Aber sie meinen es ja  gut.“

Ja, so ist das manchmal. Wir wollen einem kranken Menschen etwas Gutes sagen und finden nicht die richtigen Worte. Weil wir nur erahnen können, wie es ihm geht. Und dann nehmen wir eben diese Sätze, die alle anderen auch benutzen. Weil wir es im Moment nicht besser können.

Von den beiden jungen Frauen habe ich gelernt: Bevor ich mit gut gemeinten positiven Sätzen komme, ist es besser, erst einmal zu fragen und erst einmal zuzuhören.

Wie geht es Dir heute? Und wenn heute ein Tag ist, an dem du schimpfen musst und wüten über die Krankheit – dann will ich mir auch das anhören und es nicht schönreden. Sondern mit dir zusammen sagen – ja, es ist Mist und überhaupt nicht gut, dass du krank bist. Ich bin jetzt da und ich höre deinen Ärger und deine Wut.

Ich meine, das ist manchmal ein besserer Trost als positive Worte. 
Denn schließlich sind Wut und  Ärger starke Lebenskräfte. Und manchmal gibt nur noch Wut die Kraft, mit der Krankheit zu leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22863
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