Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Vor wenigen Monaten ist Rupert Neudeck gestorben. Seinen Namen kennen viele, vielleicht sagt er auch Ihnen etwas. Aber noch bekannter als er selbst ist die Hilfsorganisation, die er gegründet hat: Cap Anamur. In den achtziger Jahren haben ihre Schiffe 11 000 vietnamesische Flüchtlinge aus dem chinesischen Meer gerettet. Auch für anderes hat Neudeck sich engagiert, aber Cap Anamur ist fast so was wie sein zweiter Name geworden.

Noch Anfang des Jahres wurden Rupert Neudeck und seine Frau in einem Interview gefragt, weshalb sie sich so sehr für Flüchtlinge engagiert haben. Und sie haben geantwortet: „Man muss sich nicht schämen, glücklich zu sein. Aber man kann sich schämen, alleine glücklich zu sein.“

Menschen wie Rupert Neudeck gibt es immer wieder, aber sie sind Ausnahmen. Die meisten von uns hätten nicht die Kreativität, die Energie, die Unerschrockenheit, um vom Wohnzimmer aus eine weltweit agierende Organisation zu gründen. Und es wäre auch nicht sinnvoll, wenn jeder das tun würde. Es kommt vielmehr darauf an, das zu finden und dann auch zu tun, was zu mir passt. Wofür schlägt mein Herz? Was kann ich gut? Und, ebenso wichtig: Was mache ich gern? Im besten Fall tut es mir und anderen gut. Win-win-Situation nennt man das heute. Sie sind gesellig? Dann besuchen Sie doch regelmäßig eine alte Dame im Pflegeheim und hören gebannt zu, was sie alles so erlebt hat. Sie lieben die Natur? Dann helfen Sie doch mit, dass auch ihre Enkelkinder sich noch daran freuen können. Sie sind ein begeisterter und begnadeter Bastler? Dann bieten Sie sich doch an, Dinge zu reparieren. Sie finden die Beispiele banal? Dann fällt Ihnen doch sicher was ein, was zu Ihnen passt.

„Man muss sich nicht schämen, glücklich zu sein. Aber man kann sich schämen, alleine glücklich zu sein.“ Dieser Satz, der zum Leitmotiv für das Leben von Christel und Rupert Neudeck geworden ist, stammt von dem französischen Schriftsteller Albert Camus. Ich finde, auch Jesus hätte diesen Satz sagen können, aber das ist hier gar nicht die Frage. Viel wichtiger ist, dass ich verstehe, was auch Rupert Neudeck, der engagierte Christ, verstanden hat: Auch wenn es nicht ausdrücklich drauf steht, hier geht es ums Evangelium. Und um mich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22759
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