Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Haben wir überhaupt irgendetwas gemeinsam? Die Menschen hier sind so was von unterschiedlich. Man muss uns nur mal in die Gesichter schauen.“ Das geht mir durch den Kopf in der U-Bahn. An die 10 Menschen habe ich in meiner Nähe im Blick: Ein chinesisches Paar, große Koffer, kommen wohl vom Flughafen. Gegenüber ein Mann mit Schnurrbart, im Arbeitskittel, türkischstämmig vermute ich. Neben mir drei Mädels auf dem Weg zur Schule. Sie stecken die Köpfe zusammen, unterhalten sich, albern rum. In ihren Muttersprachen würden sie einander nicht verstehen. Auf Deutsch geht es gut. Die eine ist schwarz. Die beiden anderen vielleicht aus Iran oder Afghanistan. Auf der Bank gegenüber eine junge Mutter mit ihrem kleinen Sohn. Sie liest ihm vor. Um die Feuerwehr geht es. Er findet alles furchtbar spannend. Fragt ihr Löcher in den Bauch. Einen Akzent hört man bei ihm nicht. Bei der Mutter schon.

Die Frage bleibt. Haben wir 10 Leute irgendetwas gemeinsam? Außer dass sich unsere Wege kurz in einer U-Bahn gekreuzt haben? Zusammengewürfelt vom Zufall. Spätestens nach drei Stationen ist unsere Zufallsgemeinschaft vorbei.

Ich bin kurz vor einem klaren „nein, wir haben nichts gemeinsam‘. Außer vielleicht, dass jeder versucht, mit seinem Leben so gut klar zu kommen wie es geht. Vielleicht hätten wir uns auch verständigen können, wenn es nötig gewesen wäre. Doch, das hätte ich uns zugetraut. Mit den meisten auf Deutsch und mit den anderen mit Händen und Füßen und viel gutem Willen.

Aber dann ist mir doch noch etwas eingefallen, was wir gemeinsam hatten in diesen Minuten: Wir haben alle geatmet. Dieselbe Luft. Ganz selbstverständlich, ohne dran zu denken. Zum Glück geht atmen in der Regel so leicht und selbstverständlich, dass es uns nicht mal auffällt. Aber wenn es mir nicht eingefallen wäre, das wäre gedankenlos.

Die Luft zum Atmen, die haben wir gemeinsam. Und für mich als Christ heißt das auch, wir haben Gott gemeinsam. Als unseren Schöpfer. In einem Gebet in der Bibel steht: „Alle Lebewesen warten auf dich, Gott, dass du ihnen Speise gibst, rechtzeitig. .. Nimmst du ihren Atem weg, dann vergehen sie und werden wieder zu Staub. Aber wenn du deinen Atem aussendest, so werden sie geschaffen. So machst Du die Erde neu.“

Als mir das in den Kopf gekommen ist, habe ich mich fast ein bisschen geschämt: Wie bin ich bloß darauf kommen, dass uns in der U-Bahn nichts verbinden könnte. Wo wir doch alle einen Gott haben, der uns leben lässt, und atmen.

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