Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Ich bin froh, dass ich eine Stimme habe. Wie wichtig mir das ist, merk ich erst, wenn meine Stimme angegriffen ist. Erst recht, wenn sie versagt.

Es ist großartig, dass wir Menschen eine Stimme haben. Auch eine politische. Wie wichtig das ist, merkt man leider erst, wenn man auf sie verzichtet hat. Erinnern Sie sich? Als der Brexit beschlossene Sache war, sind viele junge Briten erschrocken. Sie hatten nicht gewählt. Hatten auf ihre Stimme verzichtet: „Ja, ich war gegen den Ausstieg aus der EU“ hat einer gesagt: „Wenn ich geahnt hätte, dass meine Stimme so wichtig ist, wäre ich auch wählen gegangen.“ Und eine andere hat gesagt: „Ich war bei Freunden und zu bequem, meine Stimme abzugeben.“ Zu bequem.

Ich finde, das zeigt: Recht und Freiheit gibt es nicht, wenn wir in der Komfortzone bleiben und auf unsere Stimme verzichten.
Dazu muss man die Stimme erheben. Wie diese Frau, von der Jesu s erzählt hat, schon vor 2000 Jahren. Mit einer besonders tapferen Stimme. Eine Frau in einer Männerwelt.
Eine Witwe. In einem Prozess hat man ihr ihr Recht verweigert. Aber sie lässt sich die Stimme nicht verbieten. Nicht einmal um des lieben Friedens willen. Immer und immer wieder geht sie zum Richter hin. Und fordert ihr Recht.

Eigentlich hatte sie keine Chance. Eine jüdische Frau, alleinstehend, gegen den Richter der römischen Besatzung. Die Erfahrung sagt: Gib halt Ruhe. Der sitzt am ganz langen Hebel. Nichts da. Sie erhebt ihre Stimme, bis der Richter einlenkt. Egal, ob aus Einsicht oder weil sie ihm zu anstrengend wurde. Sie hat für das Recht gekämpft. Mit nichts als ihrer Stimme. Bequem war das nicht für sie. Aber so ist das wohl: Recht und Freiheit kriegt man nicht geschenkt. Und Demokratie lebt erst, wenn wir als Bürger nicht in der Komfortzone stumm bleiben.

Zur Zeit treibt mich ein Problem besonders um: Diese furchtbare Situation in Syrien. Was müssen Kinder, Frauen und Männer, junge und alte jeden Tag erleiden? Und ich sitze vor dem Fernseher und es verschlägt mir die Sprache.

Warum stehen wir nicht zu hunderten, zu tausenden in der Nähe von russischen Botschaften und Konsulaten? Vor iranischen, amerikanischen und türkischen. Warum gehen wir nicht in die Kirchen zu Friedensgebeten wie vor Jahren beim Golfkrieg? Und erheben unsere Stimmen für die Menschen von Aleppo: Rufen laut, damit die Großen dieser Welt dieses Morden doch wenigstens immer wieder unterbrechen. Für ein paar Tage. Wann sind wir so tapfer wie diese Frau in der Bibel?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22680
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