Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Mich faszinieren Barockkirchen. Bei den vielen Bildern und Figuren gibt es immer wieder etwas Neues zu entdecken. Zwei Figuren sind mir kürzlich besonders aufgefallen. Die eine Figur steht wie ein Profisportler da. Dynamisch und kraftvoll. Ihr gegenüber ein Etwas, das an einen trägen, antriebslosen Mann ohne Energie erinnert. Die Künstler der Barockzeit wollten bildhaft zeigen, was eine Tugend und was eine Sünde ist. Als wollten sie dem Betrachter einen Spiegel hinhalten: Schau her, hier siehst Du den Fleiß und da die Faulheit. Menschliche Eigenschaften, die unterschiedlich verteilt sein können.
Mir fallen dann sofort Lebensweisheiten ein, wie: „Ohne Fleiß kein Preis“ oder dass man vom „Glück des Tüchtigen“ spricht. Gut in Erinnerung ist mir auch noch der Spruch, den ich in meiner Jugend oft hören musste, wenn meine Hausaufgaben noch nicht gemacht waren: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“. Mir wurde damals eingeimpft, wenn Du es zu etwas bringen willst, muss Du Dich anstrengen. Das hat mich lange verfolgt. Nach wie vor, beobachte ich, sind in der Kindererziehung solche Sätze hoch im Kurs. Sie sollen antreiben, Druck machen: „Streng Dich an, beeil Dich, versuch es wenigstens.“ Fleiß und Disziplin gelten bis heute als tugendhaft.
Aber: man kann sich auch zu Tode arbeiten. Damit mir das nicht passiert, muss ich die Balance finden, das richtige Verhältnis von Arbeit und Freizeit. „Work-life-balance“ heißt das heute. Eben nicht nur schuften bis zum Umfallen. Mein Körper ist da oft intelligenter als ich und wird krank, wenn ich mal wieder nicht aufmerksam genug war und zu viel gearbeitet habe. Inzwischen klappt das bei mir ganz gut, dass ich rechtzeitig merke, bevor es zu spät ist, wann ausruhen und entspannen angesagt ist. Ich weiß, für viele Menschen ist das nicht einfach, vor allem, wenn sie voll im Berufsleben stehen. Es wird erst recht schwierig, wenn zusätzlich zu einem full-time-job auch noch Haushalt machen, Kinder oder Eltern versorgen ansteht oder für etwas anderes noch Verantwortung getragen wird.
Faul sein oder fleißig sein sind aus meiner Sicht keine Alternativen. Es geht weder darum das eine zu verteufeln noch das andere heroisch überzubewerten.
Am liebsten würde ich zwischen die beiden barocken Figuren von Fleiß und Faulheit eine dritte Figur stellen, die die beiden in Beziehung bringt. Für mich ist das die Spiritualität. Denn Beten heißt für mich auch, meine Aufmerksamkeit für mich selbst zu trainieren. Mir Zeit nehmen für Gott heißt auch, achtsam Arbeit und Freizeit auszugleichen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22517
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